Essen. Oberbürgermeister Reinhard Paß über seine Art der Politikvermittlung, sein Verhältnis zur SPD und die „Fehleinschätzungen“ der Parteispitze in Bezug auf ihn. Ein Interview.

Herr Paß, bevor Sie für die SPD zur OB-Wahl im September 2015 antreten dürfen, müssen Sie sich erst mal gegen eine parteiinterne Gegenkandidatin durchsetzen. Haben Sie zu Angelika Kordfelder eine Meinung?

Wir sind beide 1994 in den Rat gewählt worden, haben uns aber ab 2004, als sie Bürgermeisterin in Rheine wurde, aus den Augen verloren. Ich kann ihre Arbeit dort nicht beurteilen.

Es ist nicht alltäglich, dass die eigene Partei einen OB in ein Kandidatenduell zwingt. Warum macht Parteichefin Britta Altenkamp das?

Das kann ich Ihnen auch nicht beantworten. Was ich weiß ist: Dieses Sommertheater mit den unmäßigen Angriffen gegen meine Person war eine völlige Fehleinschätzung. Sowas macht ja nur Sinn, wenn man glaubt, das sei dann der Todesstoß. Das hat aber nicht funktioniert.

Frau Kordfelder wirft Ihnen vor, Sie hätten das Feld räumen sollen, als es Gegenwind aus der Partei gab.

Das ist doch lebensfremd. Wenn ich mich gleich in ein Mauseloch verkriechen würde, sobald jemand zündelt, dann wäre ich für dieses Amt ungeeignet.

Verschlechtert das Duell die Chance der SPD bei der OB-Wahl generell?

Ja. Aber ich helfe jetzt mit, den Scherbenhaufen zusammenzukehren, damit die Sache doch noch gut für uns ausgeht. Dazu ist die Mitgliederbefragung der richtige Weg.

Sie wirken recht siegessicher.

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Sagen wir: Ich habe begründeten Optimismus. Ich bin sicher, vielen in der SPD geht es nicht darum, Schmutz gegen meine Person zu werfen, sie haben eine ganz andere Wahrnehmung meiner Arbeit. Es entscheiden alle 4200 Mitglieder und nicht nur eine Teilmenge, wie auf einem Parteitag.

Es gibt kaum offene Unterstützung in der SPD für Sie. Warum?

Es gibt durchaus für mich positive Äußerungen. Dass viele eher verhalten sind, erklärt sich auch aus der Erinnerung an krisenhafte Zeiten der SPD, die von Lagerbildung geprägt waren. Aber warten wir einfach die Regionalkonferenzen ab.

Manche glauben, Sie treten als freier Kandidat an, wenn die Partei sie nicht wählen sollte.

Absurd. Entweder wird man getragen von der Partei, der man 30 Jahre angehört oder eben nicht. Ich habe ja kein Problem mit der SPD, ich bin ein Kind der sozialdemokratischen Bildungsoffensive der frühen 1970er Jahre. Ich weiß genau, warum ich als erster in meiner Familie die Chance hatte, zu studieren und Ingenieur zu werden und warum ich letztlich dieses Amt innehabe.

So warme Worte hätten viele wohl gern schon mal eher gehört.

Ich muss nicht jeden Tag mit großen Worten ein Glaubensbekenntnis ablegen und bin vielleicht manchmal etwas dröge. Aber das ändert nichts an meinen sozialdemokratischen Grundüberzeugungen. Das heißt umgekehrt nicht, dass man mit allen in der Partei klar kommen muss. Was mir im Moment Sorge macht: Die SPD richtet den Blick sehr stark nach innen. Wir müssen aber die Mitte der Gesellschaft ansprechen, um Mehrheiten zu bekommen, und das muss eine Partei auch zulassen.

Wäre es im Nachhinein besser gewesen, dem Drängen der SPD nachzugeben und schon zur Ratswahl am 9. Mai 2014 Ihr Amt zu verteidigen? Sie hätten sich viel Ärger erspart.

Wenn wir damals die Situation wie heute gehabt hätten - die große Koalition - wäre es für mich kein Thema gewesen. Es war aber anders. Die SPD-Ratsfraktion war faktisch in der Opposition, ich bin qua Amt immer Regierung. Wie wollen Sie da gemeinsam Wahlkampf machen? Mich wundert bis heute der vehemente Einsatz meiner Partei für die vorzeitige OB-Wahl. Das gab es so nirgendwo anders in NRW, obwohl rund 50 Prozent meiner Amtskollegen - wie zum Beispiel auch Frau Kordfelder - ihre Amtszeit so zu Ende bringen, wie der Bürger gewählt hat - nämlich bis September 2015.

Zum Inhaltlichen: In Essen gibt es erfreuliche Entwicklungen, etwa im Univiertel, in der Nordcity oder im Krupp-Gürtel. Nur: Entstanden ist all das in der Ära Ihres Vorgängers. Wo sind Ihre Impulse für Neues?

Zum Säen gehört auch das Ernten. Man kann Dinge, die der Vorgänger eingestielt hat, versanden lassen, das ist aber nicht mein Stil. Vergessen Sie aber nicht: Essen hat damals eine gute Konjunktur gehabt, einen richtig guten Lauf. Da war manches später nicht mehr möglich. Wir haben in den Jahren 2010 bis 2013 eine Milliarde Euro weniger ausgegeben als ursprünglich geplant.

Aber sparen allein...

...ist nicht populär, auch das ist mir von Britta Altenkamp vorgehalten worden, die jetzt aber einen Koalitionsvertrag mit der CDU unterschrieben hat, der genau die Sparziele weiterführt. Ganz falsch kann ich damit also nicht gelegen haben. Im übrigen: Wir haben 2670 neue Kita-Plätze eingerichtet, für 85 Millionen Euro. Das Land hilft zwar, trotzdem ist das ein Kraftakt für uns. Oder nehmen Sie das Thema Schulen, das neue Bildungszentrum in Haarzopf. Da sind wir im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten auf einem guten Weg. Das sind übrigens alles auch sozialdemokratische Themen, was nicht jeder ausreichend zur Kenntnis nahm.

Was ist mit Visionen für die Stadt?

Reden ohne Substanz ist nicht mein Ding: Immerhin habe ich das Thema Messe-Umbau aufgegriffen, an dem mein Vorgänger gescheitert ist.

Den Bürgerentscheid haben aber Sie verloren...

Zum Politikerdasein gehört eben auch das Bohren dicker Bretter. Aber wir haben jetzt dennoch eine Lösung, die unserer Messe hilft.

Dann müsste man ja fragen: Warum nicht gleich so? Dann wäre von Beginn an viel Geld gespart worden.

Hier werden Legenden gestreut, und dazu könnte man vieles sagen. Will ich aber nicht. Es geht jetzt darum, im Interesse der Messe positive Signale an die Marktteilnehmer, an die Messe-Kunden zu senden.

„Details der EBE-Affäre konnte ich nicht wissen“ 

Aktuell sorgen sich viele um die Zukunft der Evag.

Wir sollten schon nachdenken, ob und wenn ja wie wir das Leistungsangebot bedarfsorientiert anpassen. Wenn wir pro Jahr 20 Millionen Kilometer fahren und der Zuschussbedarf beträgt 80 Millionen Euro, und die Rheinbahn in Düsseldorf fährt 25 Millionen Kilometer und braucht nur 52 Millionen Euro Zuschuss, dann macht das stutzig. Ich weiß, die Rheinbahn muss nicht für die Tunnelanlagen zahlen, aber das allein erklärt nicht die Differenz. Mein Auftrag besteht auch darin, Fragen zu stellen.

Gutes Stichwort: Haben Sie im Aufsichtsrat der Entsorgungsbetriebe genügend Fragen gestellt?

Die Fragen, die Sie jetzt im Kopf haben - mögliche Begünstigung des Betriebsrats oder manipulierte Personalpapiere - sind keine Fragen, die ein Aufsichtsrat stellt. Da geht es um Strategien und Kontrolle, um Zahlen und Geschäftsergebnisse. Dinge, die Sie gar nicht wissen können, die fragen Sie auch nicht ab.

Aber die etwas gutsherrliche Art von Ex-EBE-Chef Klaus Kunze war Ihnen doch nicht unbekannt.

Kunze war im Auftreten rustikal, was dem Geschäftszweck der EBE durchaus angemessen ist. Was das im Einzelfall bedeuten konnte, habe ich nach und nach staunend zur Kenntnis nehmen müssen. Aber noch mal: Ich konnte die Details nicht wissen. Ich war einer von 16 im Aufsichtsrat - andere Mitglieder waren viel näher dran am Betrieb.

Sie sind der Vorsitzende und der Oberbürgermeister - da landet eben ein bisschen mehr Verantwortung.

Das ist richtig. Aber ich bin nicht der operativ Tätige. Als die Verfehlungen offensichtlich wurden, habe ich sofort gehandelt und Untersuchungen eingeleitet.

Aber sie haben sich zunächst sehr reflexhaft vor Kunze gestellt.

Ich habe zum damaligen Zeitpunkt nicht so viel gewusst, als dass ich anders hätte handeln können. Es gilt die Unschuldsvermutung. Sonst hätte es zu Recht geheißen: Warum dulden Sie eine Vorverurteilung? Es ist meine Aufgabe als oberster Konzernchef mich zunächst vor meine Mitarbeiter zu stellen. Und wenn sich das als falsch herausstellt, dann wird das ordentlich aufgearbeitet.

Sie haben sich inzwischen aus dem EBE-Aufsichtsrat zurückgezogen. Manche sagen: Das ist die Flucht aus der Verantwortung.

Nein, es war von Anfang an geplant, mich nach der Ratswahl dort zurückzuziehen. Im übrigen: was wäre gewesen, wenn ich krampfhaft festgehalten hätte. Wie hätten dann die Vorwürfe gelautet? Ich habe für den Konzern Stadt einen Prozess um Compliance-Regeln aufgesetzt, der zum Ziel hat, dass es solche Vorkommnisse künftig nicht mehr gibt.

Ist vorstellbar, dass es einen Punkt gibt, an dem Sie persönliche Konsequenzen ziehen? Etwa wenn gegen Sie ermittelt werden sollte?

Wenn wir hier ins Mutmaßen kommen, muss ich passen, tut mir leid.