Ulrich Borsdorf ist kein Ruhri von Anfang an, keiner, der mit Kohle und Stahl groß geworden ist. Wie so viele zugereiste Kulturarbeiter ist er aber dem Revier, seinem Mythos, seiner Geschichte und seiner Identitätssuche stark verbunden, hat sie nach Kräften gedeutet und befördert. Sein „Spätwerk“ ist das Ruhr Museum auf Zollverein, dessen Gründungsdirektor er war, sein „Frühwerk“ das sozialhistorisch reformierte Ruhrlandmuseum. Die beachtliche Essener Geschichtskultur ist ohne ihn nur schwer denkbar, über Jahrzehnte hat er sie geprägt wie kein zweiter. Heute wird Ulrich Borsdorf 70 Jahre alt.
Im brandenburgischen Jüterbog geboren, kommt er 1966 ins Ruhrgebiet. Er studiert an der noch jungen Ruhruniversität, wird Assistent beim Historiker Lutz Niethammer in Essen und promoviert 1981 bei Altmeister Hans Mommsen in Bochum. Als Zollverein 1986 stillgelegt wird, übernimmt Borsdorf die Leitung des Ruhrlandmuseums, damals noch eine Unterabteilung des Museums Folkwang und meilenweit davon entfernt, einmal zum Flaggschiff der Welterbe-Zeche Zollverein und der Revier-Museumskultur zu werden.
Die Fundamente dafür legt Borsdorf aber schon an der Goethestraße, wohin er nach und nach weitere Absolventen der „Bochumer Schule“ lotst, darunter seinen langjährigen Mitstreiter und Nachfolger als Chef des Ruhr-Museums, Theo Grütter. Borsdorf, Fachmann für Sozial-, Wirtschafts- und Gewerkschaftsgeschichte, erweitert das klassische, auf Vor- und Frühgeschichte, Archäologie und Naturkunde konzentrierte Museum um ein damals ganz neues Thema: die Sozialgeschichte, durchdekliniert am Beispiel des Ruhrgebiets.
Seine Ausstellungsräume sind vor allem auch Lebensräume. So erzählen vier verschiedene Wohnküchen-Einrichtungen, die auf einer Art Karussell montiert sind, von den sozialen Unterschieden, den politischen Träumen und den privaten Vorlieben der Arbeiter und Bürger des späten 19. Jahrhundert. Eine Darstellungs-Idee, die zu recht berühmt wurde.
Mit den Umbauplänen für das Museum Folkwang kommen auch Umsiedlungspläne für das Ruhrlandmuseum nach Zollverein auf den Tisch. Nicht jedem gefällt anfangs die Idee vom „großen Wurf“ eines Museums fürs ganze Ruhrgebiet. Finanzielle Bedenkenträger und Klagen der Denkmalschützer sorgen in den ersten Jahren für harte Debatte. Doch das Ergebnis straft heute allen Kleinmut. Das Ruhr-Museum ist längst Wahrzeichen und inzwischen das meistbesuchte Museum im Revier. Die vorsichtig kalkulierte Zahl von 150 000 Besuchern pro Jahr wurde nicht nur im Eröffnungsjahr 2010 weit überschritten. Sonderschauen wie „Mythos Krupp“ oder zuletzt die Erste Weltkriegs-Ausstellung machen die wuchtigen Räume der ehemaligen Kohlen-Sortieranlage zu einem Publikumsmagneten.
Im Jahr 2011 übergibt Borsdorf ein professionell arbeitendes Haus, das neben der musealen Funktion vor allem Identität produzieren will: „Wenn das Ruhr Museum den Weg geebnet hätte, zu einer größeren Gemeinsamkeit des Ruhrgebietes zu finden, dann wäre ich froh“, so Borsdorf, der bei aller Wissenschaftlichkeit immer auch Ruhrgebiets-Romantiker blieb, der sich emotional ergreifen ließ und andere bewegen konnte. Und: Die Geschichte des Ruhrgebiets lässt Ulrich Borsdorf bis heute nicht los. Derzeit engagiert er sich für den Erhalt der Kupferdreher Museumslandschaft Deilbachtal