Essen. . Nach einem Jahr des Umbaus wurde das evangelische Gotteshaus am Wochenende wiedereröffnet. Die Altstadtgemeinde und Kreativunternehmer Reinhard Wiesemann setzen damit ein „kulturelles Ausrufezeichen“. Mit einem völlig neuen Nutzungskonzept gehen sie gemeinsam neue Wege.
400 Kilo wiegt der neue Altar der Evangelischen Kreuzeskirche. Die Künstlerin Madeleine Dietz hat ihn aus Stahl und Erde gestaltet und auf Rollen gesetzt. „Wir hoffen, dass Sie alle wie wir etwas anschieben in dieser Stadt“, sagt Oliver Scheytt, Vorsitzender des Forums Kreuzeskirche, als er das Kunstwerk gemeinsam mit Pfarrer Steffen Hunder, dem Bauunternehmer Rainer Alt und Reinhard Wiesemann, dem nimmermüden Kreativunternehmer, an den Rand des Altarraumes rollt. Es ist ein großer Moment für die Evangelische Altstadtgemeinde. Und es ist ein großer Tag für die nördliche Innenstadt. Jenem Quartier, das dabei ist, sein Schmuddelimage langsam abzustreifen. Und die Evangelische Kreuzeskirche dürfte daran großen Anteil haben.
Nach einem Jahr des Umbaus hat die Altstadtgemeinde am Wochenende ihre Kirche wieder in Besitz genommen. Eine Kirche, die viel, viel mehr sein wird als das, was sie bislang war: Noch am selben Abend legt ein Discjockey auf, tauchen Scheinwerfer das schneeweiße Kirchenschiff in Rot und Blau. Tags drauf feiert die Gemeinde, im zurückhaltenden Ambiente eines evangelischen Gotteshauses, ihren Festgottesdienst. Schon bald werden hier Kongresse abgehalten oder Firmenjubiläen gefeiert. Gotteshaus, Gasthaus - alles ist möglich.
Bei der offiziellen Eröffnung vor mehreren hundert geladenen Gästen spricht NRW-Bauminister Michael Groschek von einem kulturellen Ausrufezeichen und findet pathetische Worte, die einheimische Seelen streicheln: „Ich hoffe, wir nutzen die Chance mit dieser Kirche zu zeigen, dass Essen ein kulturelles Kraftwerk ist, dass sich von Köln oder Düsseldorf nicht die Butter vom Brot nehmen lässt.“
Mit einer Million Euro hat das Land die Sanierung der Kreuzeskirche gefördert. Das ist nicht selbstverständlich, auch wenn die Kirche ein Baudenkmal ist. Und es wäre wohl auch gar nicht erst möglich gewesen, sähe nicht auch das Land das städtebauliche Potenzial des Bauwerks für die Innenstadt.
Reinhard Wiesemann ist es zu verdanken, dass die Kreuzeskirche nun zeigen kann, was in ihr steckt. Der Mann ist ein Tüftler und scheint auf sympathische Weise nicht von dieser Welt: Als er 2012 erstmals seinen Fuß in die Kreuzeskirche setzt und die großartige Schuke-Orgel erklingt, erfreut er sich nicht etwa allein der Musik wie alle anderen. Er greift zum Taschenrechner und ermittelt, wie viel Zeit vergeht, bis der Schall des tiefsten Tons die Strecke bis zum Altarraum zurückgelegt hat. Den amüsiert staunenden Gästen präsentierte er dazu am Samstag die nötige Rechenformel.
Kreuzeskirche und Kommerz
Auch die Formel für die künftige Nutzung der Kreuzeskirche hat der Kreativunternehmer gefunden: Zu 40 Prozent wird sie die Altstadtgemeinde nutzen, zu 40 Prozent das Forum Kreuzeskirche, 20 Prozent darf das „Unperfekthaus“ vermarkten, auch das eine Gründung des Kreativunternehmers.
Wiesemann bezeichnet sich selbst als Agnostiker. Als ein Mensch, der damit leben kann nicht zu wissen, ob es Gott gibt oder nicht. Als solcher mag es einem leichter fallen, ein Nutzungskonzept für eine Kirche auszutüflten. Die Altstadtgemeinde ließ sich schnell überzeugen, die Evangelische Landeskirche und auch das Ministerium. 1,4 Millionen Euro hat Wiesemann aus eigener Tasche in den Umbau gesteckt und die Kreuzeskirche vor dem Verfall bewahrt, damit das gemeinsame Projekt gelingt und es voran geht in der nördlichen City. Nicht aus purer Menschenfreude, wie er am Samstag bei der Einweihung gestand, sondern durchaus aus egoistischen Motiven: „Ich wohne ja schließlich selbst hier.“