Herr Kellermann, lassen Sie uns gleich am Anfang raten, dann haben wir es hinter uns: Vom ganzen EBE-Sumpf haben Sie nix gewusst. Oder?

Ich würde nicht EBE-Sumpf sagen.

Weil es Ihnen zu negativ klingt?

Genau. Es sind bei uns Leute beschäftigt, die Verwandtschafts- oder Bekanntschafts-Verhältnisse haben, die machen ihre Arbeit gut und redlich. Es gibt auch welche darunter, wo das nicht so ist. Ja und? Wir haben alles zu bieten, was in jeder großen Firma mit fast 1.000 Beschäftigten vorkommt.

Dieses Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten, was ist das dann?

Eine städtespezifische kommunale Geschichte…

...herrliche Formulierung…

...die in allen Städten des Ruhrgebiets so läuft. Es ist noch nicht mal typisch für die Entsorgungsbranche. Vielleicht waren wir in einer speziellen Lage, weil der Geschäftsführer schon sehr speziell war. Was Klaus Kunze im Einzelnen gemacht hat oder nicht, mag ich dabei gar nicht bewerten. Was ich aber bewerten kann, ist, dass seine Art des Umgangs gerne angenommen wurde.

Auch von der Belegschaft?

Von allen Seiten. Bei Kunzes Start hat die Belegschaft ihm Tod und Teufel gewünscht, weil er sehr forsch auftrat. Aber innerhalb kürzester Zeit hat er sich als fairer Chef gezeigt, der den Leuten zwar viel abverlangt, dafür aber auch jene belohnt, die gut arbeiten.

In der Politik wurde Kunze als einer der letzten Sonnenkönige im städtischen Firmengeflecht beschrieben. Können Sie das so unterschreiben?

Sonnenkönig würde ich nicht sagen. Geschäftsführer der alten Garde trifft es vielleicht eher. Einer, zu dem man als kleiner Mann hinkommen konnte. Der geschimpft hat, wenn Blödsinn gemacht wurde, wo das am nächsten Tag aber vergessen war. Heutige Geschäftsführer sprechen erst gar nicht mit einem, sondern lassen das durch die Personalabteilung regeln, drohen mit Ermahnungen, Abmahnungen und Geldverlust.

Klingt, als gab’s mit Kunze als Trainer ein Betriebsklima wie in einer guten Fußballmannschaft.

Da wollen Sie mich jetzt wohl aufs Glatteis führen…

...wieso?...

...wegen der vielen Fußballspieler, die bei uns beschäftigt sind.

Untergebracht wurden, sollte man vielleicht eher sagen.

Ja, bei uns arbeiten viele Fußballspieler, aber wir haben davon auch profitiert. Wir brauchen nicht die schlausten Leute für unsere körperlich schwere Arbeit, das sind durchtrainierte Sportler, echtes „Humankapital“, wie man so sagt.

Der Vergleich mit dem Fußballteam sollte eher eine hemdsärmelige Arbeitswelt beschreiben, in der passieren konnte, was passiert ist.

Ich denke, dieses Arbeitsklima schafft die Arbeit, die wir leisten. Wir sind keine Doktoren und keine Ärzte, müssen wir auch nicht sein. Wir müssen schwere körperliche Arbeit leisten, wie auf Zeche: wo es eine Hierarchie gab, klare Anweisungen, einen rauen Ton. Auch bei der EBE herrscht oftmals ein rauer Ton, wobei die Kollegen sehr sensibel sind. Wir haben ständig mit Anfeindungen von außen zu tun. Man kann sich das kaum vorstellen.

Reden Sie jetzt von der Affäre?

Nein, von unserem ganz normalen Alltag. Auch deshalb wollte ich mich diesem Interview stellen, um zu schildern, was Kollegen da erleben: vom Anspucken im Vorbeifahren bis zu Sprüchen à la „Ihr faulen Schweine“. Da kriegen wir Fotos aus Holsterhausen zugesandt, auf denen Kollegen neben einem riesigen Laubhaufen stehen und Kaffee trinken, dazu der Kommentar: „Die stehen da nur rum.“ Wer noch nie den ganzen Tag Laub gescheppt hat, kann sich wohl nicht vorstellen, wie gut mal so ein Kaffee zwischendurch tut. Ein bisschen mehr Respekt unserer Arbeit gegenüber wäre angebracht.

Stattdessen kommt nun oben drauf noch das Echo auf die Affäre. Und Ihre Leute packt die Wut.

Nein, anders: Unsere Leute sind müde. Die möchten einfach nur ihre Arbeit machen. Die möchten nicht dauernd ihren Nachbarn erklären: Hör mal, was ist bei Euch schon wieder los? Und diese Zeitungsfuzzis…

...also wir…

...die schreiben immer nur Kunze hin und her. Warum machen die sich nicht die Mühe und fragen mal, wie wir uns dabei fühlen?

Wie fühlen Sie sich dabei?

Müde und unverstanden. Wir sehen den Ärger, der zum Schluss der Ära Klaus Kunze entstanden ist. Aber wenn man sich jetzt überall – auch im Rathaus – hinstellt und sagt: Das ist uns alles ganz neu, dann sind da auch jene darunter, die geahnt oder gewusst oder gar profitiert haben von dem, was da lief. Und die distanzieren sich jetzt.

Gibt’s da keine Reaktion im eigenen Laden nach dem Motto: So eine Sauerei, wir machen hier unten die Arbeit und „die da oben“ – was übrigens den Betriebsrat einschließt – machen sich ein feines Leben?

Die Belegschaft hat so viel Respekt vor Klaus Kunze gehabt, dass sie gesagt hat: Es ist okay, wenn er sich da eine Scheibe abgeschnitten hat. Der war immer da, der hat aufgepasst, der hat für uns gesorgt. So denkt wirklich die breite Masse. Sauer aufgestoßen ist vielen dagegen die Geschichte mit Thomas Altenbeck…

...Ihrem Vorvorgänger im Amt des Betriebsrats-Vorsitzenden…

...der nicht direkt alle Karten auf den Tisch gelegt hat. Weil bei uns Vertrauen und das Wort so viel zählt. Da gibt’s einen Kodex, da hält man zusammen, und macht solche Sachen nicht. Das Geld war dabei egal.

Unterm Strich: Kunze hat gar nicht so viel an Sympathie verloren?

Ja, so sehe ich das.

Wer kriegt dann den Frust ab? Die Politik? Die Medien? Mitgesellschafter Remondis?

Der Frust ist umfassend. EBE, EBE, EBE – unsere Leute sind es leid, was darüber zu lesen. Sie sind es leid, was darüber zu hören. Sie wollen mit dem ganzen Krempel nichts mehr zu tun haben, ärgern sich über die Politik und darüber, wie die Medien das ausschlachten. Remondis war immer ein Feindbild und hat sich jetzt „egalisiert“. Weil bei deren Forderung, die Wirtschaftlichkeit zu verbessern, der Stadtkämmerer längst nachgezogen hat. Die tun sich da nix mehr. Früher war das Klima anders. Ohne Druck auszuüben, nur mal als Beispiel, sind fast alle Mitarbeiter bei der Loveparade mitgelaufen, um das zu stemmen. Weil man uns darum gebeten hat. Das wäre heute so nicht mehr möglich.

Es gibt Leute, die sagen: Es wurde bei den Entsorgungsbetrieben früher auch mit einem System aus Angst und Druck gearbeitet. Wie ehrlich war diese „Freiwilligkeit“ wirklich?

Druck mag es gegeben haben, aber nicht unter den gewerblichen Mitarbeitern. Eher in der EBE-Verwaltung, das kann ich mir gut vorstellen. Weil Kunze sehr dominant war.

Zur Peitsche kam das Zuckerbrot für die Landschaftspflege. Tickets für Schalke oder den BVB…

Die Tickets gab es für a l l e Mitarbeiter, für Kollegen, die gute Arbeit geleistet haben. Die wurden genauso verteilt an Hinz und Kunz wie an die Chefetage. Ob die vielleicht die besseren Karten für sich behalten haben, weiß ich natürlich nicht.

Chefetage und politische Freunde profitierten offenbar unverhältnismäßig höher.

Ich weiß nicht, wie viele Karten es insgesamt gab. Ich kenne das nur aus der Presse

Sie selbst bekamen keine Tickets zugesteckt?

Ich? Nein. Weil ich im Betriebsrat war, habe ich gesagt: Wenn einer ne Karte hat – gebt die den Kollegen.

Als sie hörten, welche Günstlings-Blüten das Geschäftsgebaren in der Ära Kunze getrieben hat – waren Sie überrascht? Verärgert? Enttäuscht?

Über Klaus Kunze will ich mir da gar kein Urteil erlauben, das steht mir nicht zu. Was Thomas Altenbeck angeht, war ich enttäuscht. Aber er hat sich entschuldigt, beim Betriebsrat und bei der Belegschaft. Es war ihm, denke ich, gar nicht so bewusst, was da letztlich abgelaufen ist. Denn ich möchte denjenigen sehen, der widerspricht, wenn er neben seinem Geschäftsführer und dem Personalchef steht und zu hören bekommt: Du hast mehr Geld verdient.

Also alles eine himmelschreiende Ungerechtigkeit?

Zeigen Sie mir die große Firma, die nicht mit Kollegen essen geht, wenn ein großer Abschluss bevorsteht. Die nicht anderweitig ihre Leute zu Weihnachten bedenkt, das ist, denke ich, normales Geschäftsgebaren. Wenn das dann rauskommt, zeigen alle mit dem Finger drauf, dabei wissen alle, dass es so funktioniert.

Jetzt ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft. Würden Sie sagen: Je schneller das alles vorbei ist, desto besser für uns?

Es geht nicht darum, schnell zu sein, es geht darum, objektiver da ranzugehen.

Aber alle kamen zu Wort, auch Verdi, auch der Betriebsrat, etwa als die harsche Kritik an den Privatermittlern geäußert wurde.

Die Privatermittler, ja. Die Belegschaft hat das richtig aufgeregt. Dass da jemand im Sozialraum steht und mitlauscht, ein solches Vorgehen finde ich bei diesen einfachen Leuten recht hinterfotzig. Das hatte ein Geschmäckle.

Hören wir von Ihnen auch, dass es mehr als nur ein „Geschmäckle“ hat, wenn der Geschäftsführer, der Personalchef und der Betriebsrats-Vize eine Beurteilung fälschen?

Das Verfahren läuft noch, dazu möchte ich nichts sagen. Nur so viel: Mir tut’s leid für alle Beteiligten.

Haben Sie denn den Eindruck, dass Sie bei der EBE nur als Sündenbock dienen, obwohl das Geschäftsgebaren – so haben wir Sie verstanden – vielerorts gang und gäbe ist?

Vielleicht ist das Feuer bei der EBE ja hell genug, damit man andere Dinge nicht sieht.

Wo würden Sie denn die Fackel gerne hintragen?

Nirgends. Die sollen das arbeitende Volk in Ruhe lassen. Die Stadt ist auf einem guten Weg mit dieser Compliance-Geschichte. Sie ist sensibilisiert worden durch unsere Vorfälle bei der EBE. Das ist der positive Effekt, alle schauen genauer hin. Nur bitteschön: nicht hysterisch werden.

Ist Ihnen Hysterie begegnet?

Ja. Wir sind in Fragen der Compliance dermaßen geschult, wir könnten jedes weitere Unternehmen belehren, so genau wissen wir jetzt Bescheid. Das finde ich ein bisschen hysterisch, wenn auch nachvollziehbar. Wir sollten die Leute arbeiten lassen. Die alte Garde ist nicht mehr da, jeder kontrolliert jeden.

Nach wie vor gibt es noch anonyme Vorwürfe aus internen Quellen. Hat der besondere Teamgeist, den es unter Kunzes Fittichen gab, gelitten?

Vielleicht gibt es da noch einzelne Unzufriedene, die sich Luft machen wollen. Im Prinzip ist alles gesagt. Aber auch so hat der Teamgeist in der Tat gelitten. In dem Sinne, dass die Kollegen auf dem Zahnfleisch gehen – emotional und körperlich…

Körperlich, weil der Sturm Ela so viel Arbeit bereitet hat?

Weil wir unterbesetzt sind. Die Kollegen können die Freizeitstunden, die erwirtschaftet wurden, kaum abnehmen, weil wir nicht genug Leute dafür haben. Und im Bemühen, keine Fehler zu machen, gab es an vielen Stellen über Monate Stillstand, der das Unternehmen gelähmt hat – bei der Einstellung von Personal wie bei der Bestellung von Fahrzeugen.

Wie in einer Art Quarantäne?

So in etwa.

Und wie meinen Sie das mit der emotionalen Erschöpfung?

Die Kollegen wünschen sich Ruhe. Sie wollen lesen, dass sie im Prinzip eine gute Arbeit machen.

Was erwarten Sie von ihrem künftigen Chef, Kunzes Nachfolger, Herrn Unterseher-Herold?

Objektivität und Sachverstand. Der bekommt Vertrauensvorschuss. Weil es keine Altlasten mehr gibt, auch nicht im Betriebsrat. Wir haben uns gestritten, wir haben alle Karten auf den Tisch gelegt, alles wurde ausgeräumt. Wir sind wieder handlungsfähig. Der Weg nach vorne ist frei.