Duisburg-Rheinhausen. . Mit „Der Kaukasische Kreidekreis“ wollte Bertold Brecht den Zuschauer politisch agitieren und zu sozialem Handeln motivieren. Unterhaltung sollte eher ein Nebeneffekt sein
Ein anspruchsvolles, ambitioniertes Stück, lebendig, kompakt und werkgetreu gespielt von einem hochklassigen, gut aufeinander abgestimmten Ensemble, ohne irritierende, allzu eigenwillige Inszenierungsmätzchen des Regisseurs - an diesen Theaterabend in der Rheinhausen-Halle werden sich die rund 700 Zuschauer von Bertolts Brechts „Der Kaukasische Kreidekreis“, gespielt vom Tourneetheater Eurostudio Landgraf“, sicher noch lange erinnern.
Die rund 53 (Lehr-)stücke aus der Feder des Kommunisten Brecht, die den Zuschauer politisch agitieren sollten und zu eigenem sozialem Handeln motivieren sollten, gelten in unseren Tagen zuweilen als harte Theaterkost. Denn anders als in Stücken von Goethe, Schiller, Lessing oder Molière, Shakespeare, Ibsen soll sich der Betrachter hier eben nicht mit den Figuren und ihren Darstellern identifizieren. Stattdessen soll er über die Aussage Brecht`scher Werke nachdenken und reflektieren. Unterhaltung ist zwar gewünscht, aber eher Mittel zum Zweck, zu viele Emotionen auf der Bühne lehnte Brecht ab. Sein Motto: Erst lernen - dann handeln.
Um sein Ziel zu erreichen, hat sich Autor Bertolt Brecht (1898-1956) das epische Theater ausgedacht. Brecht verfremdete Handlung und Figuren seiner Theaterstücke: So führt ein Erzähler den Betrachter durch die Handlung (Brecht setzte zuweilen auch laufende Schriftbänder ein), tragen die meisten Schauspieler Masken, singen Chöre deklamatorische Lieder, die die Aussage, die Botschaft des Stücks verdeutlichen. Das alles findet sich auch im „Kaukasischen Kreidekreis“ wieder.
Diese Geschichte ist ein Gleichnis. Die Parabel vom Kreidekreis hat zwei Handlungsstränge. Teil 1: In Grusinien, Teil des heutigen Georgiens, wird geputscht. Nach dem Staatsstreich gegen den Großfürsten werden alle Gouverneure hingerichtet, darunter der reiche Gouverneur Abaschwili. Seine verwöhnte Frau Natella entkommt den Wirren der Revolution. Dabei lässt sie aber ihren kleinen Sohn Michel zurück. Die schlichte Magd Grusche nimmt sich des Kindes an, das von den neuen Machthabern gesucht wird, flieht mit ihm in die Berge zu ihrem Bruder.
Plötzlich kerngesund
Die Magd ist zwar mit dem Soldaten Simon verlobt, heiratet aber den scheinbar sterbenskranken Bauern Jussup, um ihr Ziehkind durch ein Papier mit Stempel zu legitimieren. Als die Nachricht vom Ende des Bürgerkriegs eintrifft, erhebt sich der todkranke Bauer plötzlich kerngesund von seinem vorgetäuschten Sterbelager - ein versteckter Hinweis Brechts, wie man pfiffig den Wehrdienst verweigern kann. Jetzt kehrt auch die verwitwete Frau des Gouverneurs zurück, erhebt Anspruch auf das von ihr geborene Kind.
Im zweiten Teil wird das turbulente Leben des einfachen, aber bauernschlauen Dorfschreibers Azdak geschildert. Der verschmitzte, stets betrunkene Tausendsassa ist kein Jurist, ist dennoch in den Wirren des Bürgerkriegs auf den Richterstuhl gekommen. Jetzt urteilt Azdak als Arme-Leute-Richter für das schlichte Landvolk Grusiniens. Nun werden die beiden Handlungsstränge zusammengeführt, tragen Magd Grusche und die Gouverneurin, wortreich unterstützt von ihren Rechtsanwälten, Notrichter Azdak ihren Fall vor. Beide beanspruchen das Kind Michel für sich. Azdak ordnet an, dass ein Experiment den Beweis der Mutterschaft erbringen muss: Dazu lässt er das Kind in einen Kreidekreis, eben den kaukasischen, stellen. Beide Frauen sollten gleichzeitig versuchen, das Kind zu sich aus dem Kreis herauszuziehen. Denn es heiße „die wahre Mutter wird die Kraft haben, ihr Kind aus dem Kreis zu reißen“.
Hinter dieser menschlichen „Moral von der Geschicht’“ verbirgt sich wie fast immer bei Brecht auch eine politische Aussage. Denn im „Kaukasischen Kreidekreis“ geht es nicht „nur“ um eine Parabel auf die Mütterlichkeit, sondern um das Verhältnis von Eigentum und Nützlichkeit, dem „Gebrauchswert“ in den Worten des Marxisten Brecht. Regisseur Peter Bause verzichtete wie die meisten seiner Kollegen darauf. Das wiederum kam dem Spielfluss und der Lebendigkeit des Lehrstücks sehr zugute.