Während die Nazis in Rheinhausen und Duisburg wüteten, verzichtete man nicht aufs jecke Treiben. Im Gegenteil, die Scherben der Pogromnacht waren kaum aufgekehrt, da startete ein rauschender Sessions-Eröffnungsball.
Im Verlauf seiner Recherchen zum Thema Judenverfolgung in der Zeit der Nationalsozialisten in Rheinhausen stieß der Politikwissenschaftler Rainer Spallek auch auf das Thema Karneval in der nationalsozialistischen Zeit. In seinen Artikeln konzentriert er sich auf die Jahre 1937 bis 1939, als es zu einem verschärften Kurs der Nazis in der „Judenpolitik“ kam. Die hier folgende Geschichte befasst sich mit Geschehnissen rund um Rheinhausen und Duisburg. Ein weiterer Text (siehe unten) bietet eine geschichtliche Einordnung.
Mitglieder der NSDAP waren anfangs in den Karnevalsvereinen noch in der Minderheit, aber sie haben schon Anfang der 1930er Jahre versucht, die Macht an sich zu reißen, um das bunt-anarchische Treiben der Karnevalsgesellschaften gleichzuschalten. NSDAP und Rheinhausen, das war fast eine kleine Liebesgeschichte. Aus dem Buch „Tatort Moers“ geht hervor, dass „Rheinhausen mit 50 Mitgliedern lange Zeit die „Hochburg“ am Niederrhein war. Jahrelang hatten dort der Gaukommissar, der Standartenführer der SA und der Sturmbannführer der SS ihren Sitz.“ 1932 gelang es dann der NSDAP vor dem Hintergrund einer bedrohlichen sozialen und wirtschaftlichen Krise auch in Rheinhausen die stärkste Partei zu werden.
Party im „Prinzregent“
Unmittelbar vor der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 erhielt Adolf Hitler in seiner Wohnung in der Prinzregentenstraße in Berlin die Nachricht, dass ein von einem polnischen Juden angeschossener Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Paris gestorben ist. Das ließ alle Dämme bersten, die Reichskristallnacht brach an... Während Juden wie Philipp Wallach (siehe Ausgabe dieser Zeitung vom 27. Februar 2014) um ihr Leben bangten, startete – die Glasscherben waren kaum aufgefegt – nur zwei Tage nach der Pogromnacht im Hotel „Prinzregent“ in Duisburg der rauschende Eröffnungsball der „Prinzengarde“ in die neue Karnevalssession 1938/39.
Fred Bernards als Garden-Gründer
Diese Prinzengarde gründete der Kaufmann Gottfried Bernards (siehe ebenso Ausgabe dieser Zeitung vom 27. Februar 2014) gemeinsam mit sechs weiteren Karnevalsbegeisterten, um noch 1937 im Rosenmontagszug „mit einer Truppe zu Pferde den Prinzenwagen zu begleiten“, wie in der Chronik des Vereins zu lesen ist. Als erste Duisburger Karnevalsgesellschaft war die Prinzengarde 1938 der Dachorganisation, dem „Bund Deutscher Karneval“, beigetreten. In der Vereinschronik heißt es auch, dass solche „Karnevalsgesellschaften zu einem Stück rheinischer Volks- und Kulturgeschichte geworden sind... sie bilden im Rahmen des bürgerlichen Zusammenlebens einen Faktor, dessen Hauptgewinn in der Pflege... bürgerlicher Geselligkeit zu erblicken ist“.
Bürgerliche Geselligkeit in Zeiten von NS-Terror und Holocaust? Während der Narrhallamarsch dröhnend erklang, klopfte es drohend meist in der Nacht an Türen von Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten. Die Karnevalisten müssen in ihrer eigenen Welt gelebt haben, ließen sich nicht beirren, Spaß muss wohl – trotz alledem- sein.
Beim oben genannten Eröffnungsball der Prinzengarde leitete Vereinspräsident Paul Bergs die Kampagne ein mit den Worten: „Wo Kameradschaft, Frohsinn und Freude waltet, da ist der Griesgram ausgeschaltet“. Beim Rosenmontagszug 1939, zwischen Reichskristallnacht und Kriegsbeginn, beteiligte sich die Prinzengarde unter dem Motto „In Duisburg lachen über tolle Sachen!“
Der Krieg und eine Frontzeitung
Dann kam der Krieg. Dazu ist in der Chronik zu lesen: „Die in der Heimat verbliebenen Freunde der Prinzengarde nahmen jede Gelegenheit wahr, die Verbindung zu den im Felde stehenden Kameraden aufrechtzuerhalten, wobei Feldpostbriefe, Päckchen und eine von Fred Bernards gepflegte Frontzeitung ihren guten Anteil hatten.“
Bernards muss auch hier Boss gewesen sein, heißt es doch weiter in der Chronik: „Ein Brief des im Felde stehenden Prinzengardisten Otto Hecker trug nachstehende Anschrift: An den Herrn Großmogul der Duisburger Prinzengarde, Gottfried Bernards, Inhaber des Großen Karnevalstischen Verdienstkreuzes..., Groß-Rheinhausen, Straße gen Atrop im nahen Westen.“ Der Brief kam an.
Geschichtliche Einordnung
Joseph Goebbels, der sich des öfteren in Duisburg und Rheinhausen sehen ließ, notierte nach einer langen Diskussion mit Hitler über die „Judenfrage“ in sein Tagebuch: „Die Juden müssen aus Deutschland... heraus... geschehen wird und muß das. Der Führer ist fest entschlossen.“ Das schrieb er im November 1937. Und Hitler hetzte auf dem Nürnberger Parteitag vom 13. September 1937 gegen „die jüdische Rasse“, die er als eine „durch und durch minderwertige“ bezeichnete.
Mit dem Anschluss Österreichs 1938 kam es zu einem „deutlichen Radikalisierungsschub in der Judenverfolgung“, so der Historiker Volker Ullrich. Seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht er in der sogenannten Reichskristallnacht im November 1938: „Die Unterwelt hatte ihre Pforten aufgetan und ihre niedrigsten, scheußlichsten, unreinsten Geister losgelassen“, schreibt der Dramatiker Carl Zuckmayer. Jeder, der Augen hatte, konnte sehen, was sich da überall im Reich in der Öffentlichkeit abspielte. Jeder, der Ohren hatte, konnte am Volksempfänger hören, wie der NS-Staat zu den Juden stand.
Seit Frühjahr 1938 folgte ein diskriminierendes Gesetz dem anderen und die Durchführungsspraxis war für die Juden ebenso existenzbedrohend wie für die nichtjüdische Bevölkerung unübersehbar (etwa Kennzeichnung jüdischer Geschäfte oder der Juden durch Abzeichen). Heute mag man sich fragen: Wo ist da Platz für Karneval? Muss da nicht dem Narren das Helau im Halse stecken bleiben? Vergnügen und Verfolgung, Fasching und Faschismus gingen tatsächlich Hand in Hand.Es war die Zeit zwischen Helau und Holocaust.
Andererseits: Konnten Nazis Narren trauen? Es war nicht die Zeit der Narrenfreiheit. Nach dem Historiker Marcus Leifeld „haben die Nationalsozialisten das wilde Treiben des Straßenkarnevals eher gefürchtet. Deswegen haben sie ihre Symbole davon ferngehalten.“ So durften in den Kneipen auch keine NS-Zeichen oder Bilder Adolf Hitlers hängen. Das Risiko, dass Angetrunkene die Symbole missbrauchten, war zu groß.
Judenfeindliche Motivwagen
Dagegen dürften Motivwagen und Fußgruppen willkommen gewesen sein, die „jüdische Devisenschieber“ anprangerten oder auch Karnevalsschlager mit Titeln wie „Hurra, mer wäde jetz` die Jüdde los!“ sangen. Und die Bütt, ureigene Stätte der Politikkritik? Sich Büttenreden vorlegen zu lassen und gegebenenfalls. zu zensieren erwies sich als unzuverlässig. Stattdessen hat man, so Leifeld, „die Vereinspräsidenten in die Verantwortung genommen dafür, dass es keine regimekritischen Reden gibt.“ Das half sehr.
Selten wagte es ein Jeck, politische Symbole durch den Kakao zu ziehen. Dennoch passierte es gelegentlich, dass ein Karnevalist die Hand zum Hitlergruß hoch streckte, um zu erklären, dass „genau s o h o c h bei ihm zu Hause der Schmutz stünde.“ Oder er hob den Arm, um sich zu fragen, ob es denn nun eigentlich regne oder nicht....