Serie zum sogenannten „Gedenkjahr 2014“. Teil 1 befasst sich mit der Übernahme des Kaufhauses Wallach durch den Rheinhauser Kaufmann Gottfried Bernards aus dem Jahr 1938, die bis heute nachwirkt. Versuch der Aufklärung durch den Politikwissenschaftler Rainer Spallek.
Seit nahezu 70 Jahren leben wir Deutschen in Frieden, darüber sollten wir froh sein, im sogenannten „Gedenkjahr 2014“. Jährt sich doch der Beginn des 1. Weltkriegs zum 100. Mal und der des 2. Weltkriegs zum 75. Mal. Diesen beiden einschneidenden und dramatischen Daten möchte sich die Redaktion im laufenden Jahr ebenso widmen wie zwei positiven Geburtstagen im Jahr 2014. So feiern wir 25 Jahre Deutsche Einheit und, ganz lokal gesehen, 80 Jahre Stadt Rheinhausen. Zu all diesen Themen haben wir in den kommenden Wochen und Monaten für Sie jede Menge Geschichten aus Rheinhausen und Homberg zusammengestellt. In loser Reihenfolge blicken wir unter der Überschrift „Gedenkjahr 2014“ zurück in die Vergangenheit. Im ersten Teil der Serie berichtet der Friemersheimer Politikwissenschaftler Rainer Spallek über die unendliche Geschichte des Kaufhauses Wallach in Rheinhausen:
Die NRZ/WAZ berichtete im Januar über mein Forschungsprojekt. Rheinhauser Zeitzeugen erzählten, wie sie zur NS-Zeit das Schicksal der Juden wahrgenommen haben. Dabei ging es auch um das Kaufhaus Wallach in Hochemmerich, Annastraße 2. Dazu gab es einige Rückmeldungen, aus denen sich eine Geschichte rekonstruieren lässt, die bis zum heutigen Tage nachwirkt
Wenig festlich wird es den Autoren der Festschrift „50 Jahre Rheinhausen 1934-1984“ zumute gewesen sein. Sie konnten 1984 ihr Buch nicht vollständig herausgeben. Grund war eine einstweilige Verfügung, in der das Landgericht Duisburg es Siegfried Schlicht, damals Bezirksvorsteher und Verantwortlicher für die Schrift, untersagte, „die Festschrift … mit der auf Seite 22 … aufgestellten nachfolgenden Behauptung zu verlegen...“ . Das Gericht zitiert aus der Schrift: „Das Vermögen eignete sich der SA-Mann Bernards an, unter dessen Namen das ehemalige Bekleidungshaus Wallach nach dem Zweiten Weltkrieg als Provinzkaufhaus fortbestand... es ist erwähnenswert, daß Bernards seinen SA-Trupp aus auswärtigen Mitgliedern rekrutieren mußte, da sich in Rheinhausen kein SA-Mann bereit fand, an der Zerstörung und Plünderung des Wallach-Geschäfts teilzunehmen...“. Der Streitwert betrug 50 000 D-Mark).
Mit dieser Behauptung haben sich die Herausgeber weit aus dem Fenster gelehnt, ohne Sicherheitsvorkehrungen. Und so erschien die Schrift mit geschwärzten Zeilen beziehungsweise herausgetrennten Seiten. Der Autor missachtete den rettenden Konjunktiv: ohne ihn klingt es wie eine Tatsachenfeststellung. Damals, im Mai 1984, titelte die WAZ dazu: „Nazi-Beitrag aus Buch geklagt. Eklat um die Festschrift zum Rheinhauser Jubiläum!“
Es gibt Dokumente aus den 1930er und 40er Jahren, die helfen, diesen Fall besser zu verstehen. Am 10. November 1938, so berichtet es unter anderem eine Zeitzeugin, war das Kaufhaus Wallach zertrümmert worden. Die Familie Wallach musste aus Rheinhausen fliehen. Der Kaufhausbesitzer Philipp Wallach, ein Jude, wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Seine Frau, eine Christin, überlebte und kehrte 1945 nach Rheinhausen zurück. Die Übernahme ihres Kaufhauses durch Bernards ließ sie nicht ruhen. In einem Dokument vom 11. November 1946 erklärt Else Wallach, dass „schon im Jahr 1937 Gottfried Bernards unser Geschäft zu kaufen versuchte... unmittelbar nach der Zerstörung unseres Geschäfts verbot die Polizei die Weiterführung. Das Geschäft wurde versiegelt... Meinem Mann war bekannt, daß in erster Linie Bernards die noch vorhandene Ware an sich reißen wollte...“.
Else Wallach: „Er kaufte dann die Einrichtung von uns. Mein Mann verlangte hierfür 2000 Reichsmark..., doch Bernards weigerte sich, den Preis anzuerkennen...“. Er wollte 1200 RM geben. „Mein Mann musste sich auf diesen Preis einigen, weil er gezwungen war, die Einrichtung zu veräußern.“ Else Wallach starb 1947 in Rheinhausen. Ihr Sohn Alfred vertrat später ihre Interessen.
Seine Version der Geschichte hatte Gottfried Bernards unter anderem in einem Brief am 7. Januar 1950 an das Wiedergutmachungsamt am Landgericht Kleve geschrieben: „Von Herrn Philipp Wallach, Mitinhaber der Fa. Wallach, Rheinhausen, kauften wir im Dezember 1938 die Reste einer Ladeneinrichtung, die vor der Veräußerung an uns etwa im November 1938 von einer erregten Menge fast vollständig zusammengeschlagen und zerstört worden war. Es handelte sich also nicht … um eine vollständige Ladeneinrichtung, sondern nur noch um die Trümmer.“ Alfred Wallach forderte einen Rückerstattungsbetrag von „DM 6000,-“. Bernards: „Die teilweise zerstörte Ladeneinrichtung hat im Zeitpunkt der Übernahme niemals den … Wert von RM 6000.- gehabt....“
Doch geht es hier um die Behauptung, ob er SA-Mann war und SA-Leute angeheuert hat, um das Wallach-Kaufhaus zu zerschlagen. War das so? Zeitzeuge Franz Kapala: „Meine Schwester arbeitete nach dem Krieg etwa zwei Jahre bei Bernards. Ich kannte ihn gut... stimmt, der Fred war ein Hallodri, aber nicht von der üblen Sorte ... nein, das traue ich ihm nicht zu.“
„Juristisch nicht strafbar“
Wie ist damals die Geschäftsübergabe abgelaufen, was für ein Mensch war dieser Gottfried Bernards? Rainer Spallek liegt dazu unter anderem ein Schreiben des NSKK (Nationalsozialistischer Kraftfahrkorps) vom 6. März 1939 vor, gerichtet „an den Rottenführer F. Bernards.“ Darin wird diesem vorgeworfen, sich zu wenig zu engagieren; man droht mit der „Entlassung aus dem Korps.“ „Das spricht für Bernards“, so Spallek, „jedoch nicht die Anrede ,Rottenführer’, denn das ist die Bezeichnung eines Dienstgrades der SS.“
Zu Kriegsende konnte ihm im US-Heeres-Verhörzentrum - trotz eines sogenannten „security suspect“ - nichts nachgewiesen werden. US-Captain Puffert vom Camp 91 stellte Bernards zum 12. Mai 1945 eine bedingungslose Entlassungsbescheinigung aus, da das Verhör ihn von allen Anschuldigungen freisprach – allerdings ausdrücklich nur bis zum Datum seiner Entlassung.
„Bernards muss unter Rechtfertigungsdruck gestanden haben“, sagt Spallek, am 20. Juli 1948 fiel in New York ein Brief in einen Briefkasten, adressiert an Mr. Fred Bernards, Rheinhausen. Er stammt von einem ihm gut bekannten deutschen Juden aus Duisburg. „Er wird ihn wohl um Fürsprache gebeten haben“.
„Sie waren immer sehr anständig“
Im Brief heißt es„... Ich erhielt zwar derartige Briefe des öfteren, sie wanderten aber durchweg in den Papierkorb. Bei Ihnen aber freue ich mich Ihnen behilflich sein zu können... Sie waren wirklich immer sehr anständig... Sie bewiesen mir und vielen anderen meiner Glaubensgenossen stets ihre wirkliche Gesinnung und Einstellung. Wozu man Sie in der kritischen Zeit zwang, konnten Sie nicht abhelfen... Liebe Frau Bernards, ich sehe Sie noch oft mit Tränen in den Augen, wenn wir über die Judenfrage sprachen. Sie beide hatten derartige Denunzierungen wirklich nicht verdient. Das Leumundszeugnis ist schon geschrieben… Was dieser Sauhund (Hitler; die Redaktion) angerichtet hat, ist nicht mehr auszulöschen. Warum hatte keiner das Herz, ihm bei Beginn eine Kugel durch den Kopf zu knallen? ...“.
Der Friemersheimer Franz Kapala erinnert sich noch an das Jahr 1949, als in Düsseldorf der Prozess geführt wurde um die Übernahmebedingungen des Wallach-Geschäfts durch Bernards. Kurz vor Prozessbeginn traf er Bernards. Er sei da guter Dinge gewesen, sei unbeschwert in den Prozess gegangen in der Überzeugung, dass man ihm nichts nachweisen könne, er sollte Recht behalten.“
Spallek: „Man muss sich Gottfried Bernards, der 1967 starb, nun wohl als einen Menschen vorstellen, der das Leben zu leben wusste, ein smarter Typ, ,ein Charmeur’, ein ,Hallodri’, wie ihn Zeitzeugen schilderten. Sicherlich ein an die damaligen Verhältnisse gut Angepasster, der den Nazis politisch so zuverlässig erschien, dass er problemlos das Kaufhauserbe des verfolgten Juden Wallach antreten konnte. Ein Mensch, dem man ebenso wenig mangelnden Opportunismus wie übermäßiges Mitgefühl vorwerfen kann. Er profitierte schlicht vom Unrechtsstaat, offenbar ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen.“
Laut des Geschichtsexperten war Bernards eben einer von Vielen, der die Gunst der Stunde nutzte und den das Leiden der Opfer die Lust an guten Geschäften nicht nehmen konnte. „Auch wenn Bernards sie nicht auslöste, sie nicht antrieb, so verstand er es doch, geschmeidig auf der Woge von Gewalt und Unrecht zu gleiten: juristisch nicht strafbar.“