Die 54-jährige Dagmar Reichel aus Homberg startete vor einem Jahr ein ungewöhnliches Wohnprojekt. Eine WG für ältere Menschen. Mittlerweile leben in der Rheinpreußen WG fünf Menschen unter einem Dach. Gegenseitige Hilfe schreiben sie groß.
Alten- oder Pflegeheim? Betreutes Wohnen? Oder vielleicht ein Mehrgenerationenhaus? Jeder muss sich irgendwann die Frage stellen, wie er im Alter leben will. Die 54-jährige Dagmar Reichel hat diese Frage für sich selbst auf ihre eigene Weise beantwortet. Die Hombergerin gründete eine Alten-Wohngemeinschaft (WG). Das heißt, fünf Menschen im Alter zwischen 54 und 63 unter dem Dach eines alten Zechenhauses in Homberg-Hochheide: Die Rheinpreußen WG.
Vor einem Jahr trennte sie sich von ihrem Mann. Heutzutage etwas normales, aber nicht so für die 54-Jährige. Sie leidet an Parkinson. Im Alltag ist sie auf Hilfe angewiesen – wie auch viele ältere Menschen in Deutschland. „Ein Pflegeheim oder betreutes Wohnen kam für mich nicht in Frage“, sagt sie und ergänzt: „Ich wollte weiterhin ein selbstbestimmtes Leben führen.“ Also gründete sie die Alten-WG, um weiter in dem alten Zechenhaus wohnen zu können.
Die Zahl solcher WGs nimmt zu. Und auch die Politik hat erkannt, dass dieses Wohnmodell funktioniert. Seit dem vergangenen Jahr wird es vom Bundesgesundheitsministerium gefördert.
Als Dagmar Reichel sich auf die Suche nach Mitbewohnern machte, inserierte sie im Internet. Und es dauerte nicht lange, bis bei ihr das Telefon klingelte. An der anderen Leitung war Monika Burdach. Sie wollte von Essen wieder in ihre alte Heimatstadt Mülheim ziehen. „Aber da wäre ich auch nur wieder alleine in der Wohnung gewesen“, sagt sie. Also suchte sie nach einer Alternative, die sie in der WG fand.
Menschliche Nähe, aber trotzdem genug Raum, um sich zurückzuziehen: Das ist das Konzept, nach dem die Bewohner in Homberg-Hochheide zusammenleben. Aber es geht auch um gemeinsame Hilfe im Alltag. So ist Pflege auch ein wichtiges Thema. Neben Dagmar Reichel wohnt auch noch Gustav Herrmann in der WG. Und auch der 62-Jährige leidet an Parkinson. So lernte er auch Dagmar Reichel kennen – über eine Selbsthilfegruppen. Als er dann umziehen wollte, entschied er sich kurzerhand für die WG in Homberg. Von Stuttgart kam er noch Duisburg.
Das Konzept hat gerade für die beiden an Parkinson erkrankten Bewohner Vorteile. Denn: Es ist immer jemand da, der im Notfall helfen kann. „Ich habe kein Problem damit, die Gebende zu sein, weil es irgendwann auch sein kann, dass ich auch auf Hilfe angewiesen bin“, so Sigrid Johannsen (63). Und manchmal kommt es vor, dass die Krankheit von Dagmar Reichel zuschlägt. Sie kann sich dann nicht mehr bewegen und braucht eine Spritze. Das übernehmen ihre Mitbewohner.
Die WG auf Pflege und Hilfe zu reduzieren, wäre aber zu kurz gegriffen. Wenn Besucher die illustere Runde sehen, wie sie am Küchentisch sitzen, plaudern und lachen, dann wird verständlich, warum sich die Fünf so für das WG-Leben begeistern. Es sind Charaktere die hier zusammenleben. Menschen, die eine Geschichte haben und Spaß am Leben haben. Da ist zum Beispiel Klaus Bude. Der Letzte im Bunde. Der 61-Jährige ist ein eingefleischter Single und Weltenbummler. Als seine Firma in England pleite ging, kam er zurück nach Deutschland. Aber auch er wollte nicht alleine leben. Kurzum zog er in die WG ein. „Hier kann ich meine Freiheit behalten“, schwärmt er. Und die Summe dieser unterschiedlichen Menschen macht aus dem alten Zechenhaus mit der roten Backsteinfassade ein Zuhause. Kein Zuhause für eine traditionelle Familie. Aber eine Antwort auf die Frage: „Wie möchte ich im Alter leben?“ Ob sie in dieser Konstellation bis ins hohe Alter zusammenleben werden, weiß die Gruppe heute noch nicht.