Duisburg-Homberg. . Hochhaus-Clique diskutierte mit Senioren, um Vorurteile abzubauen und Angst zu vermindern
Alles beginnt zunächst ganz harmlos: „Boah, mir ist voll langweilig“, sagt ein Jugendlicher zu seinen Kumpels. Kein Bolzplatz, kein Basketballkorb, nichts, um sich sportlich zu betätigen, monieren die Teenager. „Mich hat jemand angezeigt, jetzt habe ich Probleme mit dem Jugendamt“, ärgert sich ein Neuankömmling entrüstet. Dabei sei er unschuldig und in nichts Illegales verwickelt. Schnell ist allerdings der Gruppe klar, wem die Anzeige zu verdanken ist, und kurzerhand geraten zwei Hochhaus-Cliquen aneinander, beschimpfen sich, schupsen sich, werden allmählich aggressiv, eine Schlägerei droht. Das Publikum lacht verlegen, die Szene ist nur gespielt.
Die acht Hochheider Jugendlichen spielten jedoch sich selbst. Dass sie die Realität überzeichneten und dass die dazugehörige Hip-Hop-Musik auf ihre weitaus älteren Zuschauer angepasst war, das fiel den wenigsten Rentnern, die sich am Freitagnachmittag im Awo-Treff an der Ehrenstraße trafen, auf. Der Stadtteilförderverein organisierte ein zwangloses Treffen der Generationen, bei dem Jugendliche eine Konfliktsituation aufführten, wie sie am Hochheider Markt alltäglich passieren könnte. Diese Veranstaltung sollte Vorurteile abbauen und Furcht vermindern, denn viele Senioren trauen sich nach Einbruch der Dunkelheit in Hochheide nicht mehr auf die Straße. Sie haben Angst vor den Jugendlichen, die ihre Freizeit am Marktplatz verbringen. Nun haben sie einige davon persönlich kennengelernt.
Traum einer sicheren Umgebung
„Wenn euch ältere Menschen so sehen, dann müssen sie Angst haben und einen großen Bogen um euch machen“, sagt Awo-Chef Hubert Honnef. Dabei wäre es für Hochheide viel schöner, wenn man abends wieder vor die Türe gehen könne. „Dieses Gefängnis im Kopf, im Dunkeln nicht mehr herauszugehen, das haben ältere Menschen nicht verdient“, sagt Alfred Roch vom Fördervereinsvorstand.
Die Angst verflog allerdings nicht, denn es herrschte Unverständnis für die Jugendlichen, die immer wieder beteuern, dass auch sie sich eine sichere Umgebung wünschen. „Das ist ein Traum von uns allen.“ Wenn ihnen langweilig sei, trinken sie oder rauchen Gras, ticken auch schon mal aus, sagt Roch, der zugleich der hiesige Bezirkspolizist ist. „Aber die Jungs sind herzlich.“ Zudem seien sie nicht diejenigen, die Senioren ausrauben oder gewaltsam die Handtaschen entreißen – diese Straftaten gingen meistens auf das Konto von Alkohol- und Drogensüchtigen. Viele Familien der Teenager kamen 1990 aus dem Irak und wurden in der deutschen Unterschicht sozialisiert. Viele Jungs haben keinen Schulabschluss und keine Perspektive auf eine Lehre. Doch es gibt auch Gymnasiasten und Studenten unter ihnen – kleine Erfolgsgeschichten.
Für einige der Anwesenden ist der Ausbildungsplatz noch weit weg, „daher wollen sie etwas gegen die Langeweile tun, Sportplätze fehlen aber“. Dafür, beteuerte Bezirksbürgermeister Hans-Joachim Paschmann (SPD), habe die Stadt kein Geld und ein Basketballkorb musste im Hochhausquartier abmontiert werden, weil er oft bis zwei Uhr nachts genutzt wurden.
Respektlosigkeit
Mit fortschreitender Diskussion kochten die Emotionen hoch, Rentner berichteten von rassistischen Ressentiments gegen Deutsche und von Respektlosigkeit, ihre Gesprächspartner fühlten sich zu unrecht angegriffen, man solle bitte nicht alle Jugendlichen über einen Kamm scheren. Dass Langeweile für den Zustand des Hochhausquartiers und des Markts verantwortlich sei, konnten hingegen die Älteren nicht glauben. „Mir war in meinem ganzen Leben noch nie langweilig“, sagte eine Seniorin kopfschüttelnd. Ebenso wenig akzeptierten sie, dass die Clique in keinem Sportverein funktionieren würde. Sport betreibt sie derzeit nur bei Rochs Verein. Als sie den 35-jährigen Blerim Mollakuqe kennenlernten, der den Jungs das Ringen beibringt, wurde ihnen im Awo-Treff ganz bang. Der Kosovo-Albaner – sein Körper ist durchtrainiert, sein Schädel kahlrasiert und seine Arme tätowiert – berichtete, dass auch ältere Menschen über ihn urteilten, ohne ihn zu kennen.
Letztlich waren sich jedoch alle einig, Senioren sowie Jugendliche, dass man Hochheide zu einem besseren Ort machen könne, wenn nur alle gemeinsam willens sind, etwas dafür zu tun. Eine kleine Überraschung zum Abschluss hatte dann übrigens Bezirksbürgermeister Paschmann: Noch in diesem Jahr würden zwei Streetworker im Bereich der Weißen Riesen die Arbeit aufnehmen.