Duisburg. 2001 wurde der neunjährige Sedat von dem sogenannten „Pokemon-Mörder“ vergewaltigt und umgebracht. Elf Jahre nach der brutalen Tat erinnert jetzt eine kleine Metallplatte auf dem Marktplatz in Duisburg - Homberg an das Schicksal des Jungen.
Die Erinnerung an Sedat soll immer wach bleiben. Anfang 2001 wurde der neunjährige Junge, Sohn türkischer Eltern, vom so genannten „Pokemon-Mörder“ auf brutale, bestialische Weise umgebracht und vergewaltigt. Es geschah am helllichten Tag, mitten in Homberg, in der Nähe der Glückauf-Halle. Elf Jahre hat es gedauert, bis nun eine Gedenktafel an das traurige, bittere Schicksal des Kindes erinnert, das noch ein ganzes Leben vor sich hatte. Am Freitagnachmittag weihte Bezirksbürgermeister Hans-Joachim Paschmann (SPD) die Metallplatte, eingelassen in den Boden des Bürgermeister-Bongartz-Platzes in Hochheide, gemeinsam mit rund 30 Bürgern feierlich ein. Es folgte eine Minute des stillen Gedenkens an Sedat. Nur zu verständlich, dass bei Sedats Eltern da wieder tiefe Trauer, böse Erinnerungen, Resignation und Verzweiflung hochkamen.
Opfer waren alle noch Kinder
Die kleine, quadratische Metallplatte trägt die Aufschrift: „Wir gedenken allen Kindern, die Opfer von Gewalt wurden.“ Erinnert wird an Sedat, aber auch an alle Kinder, die Opfer von Mord und Totschlag, sexuellem Missbrauch, Hunger, Vernachlässigung, Verwahrlosung, vereinzelt aber auch behördlicher Schlamperei wurden, in Homberg und anderswo. Auch das darf nicht verschwiegen werden. Diese Opfer tragen Namen, die sich in das kollektive Gedächtnis der Republik eingegraben haben – Petra, Mirco, Julia, Pascal, Desiree oder Jakob und erst kürzlich Lena. Alle waren noch Kinder.
So wie Sedat. Aber was genau stieß dem Schulkind zu, an diesem kalten, windigen Wintertag 2001 in Homberg-Hochheide? Zur Erinnerung: Es ist der 9. Januar 2001. Oliver S., damals 23 und Aushilfskoch, lockt den kleinen Sedat mit „Pokemon“-Karten vom Spielplatz an der Charlottenstraße in seine Wohnung. Kurz darauf erdrosselt er dort den Neunjährigen, „aus purer Lust am Töten“. Irgendwann kommt Jessica V. dazu, die Freundin von S. Eine direkte Beteiligung an der Tötung kann ihr das Gericht später nicht nachweisen. Die Richter sehen es aber als gesichert an, dass die damals 18-jährige Schülerin von den Tötungsfantasien ihres Freundes wusste, ihn darin bestärkte, sich an der Schändung und Beseitigung der Leiche beteiligte. Oliver S., getrieben durch seine perversen Fantasien, erwürgt, zerstückelt und missbraucht das Kind noch im Tode. Wie Abfall wird der Kopf des Jungen in einem Altkleider-Container an der Luisenstraße nahe der Glückauf-Halle entsorgt. Daneben wird der kleine Körper in einem Koffer abgestellt. Er passte nicht in den Container.
Deutsche und Türken sind entsetzt, trauern gemeinsam, weit über die Grenzen Duisburgs hinaus. Der Fall sorgt bundesweit für Schlagzeilen. Tage später geleiten rund tausend Menschen den kleinen Kindersarg zum Mühlenberger Friedhof in Rheinhausen. Zuvor trauert die Menge auf dem Marktplatz in Hochemmerich. Mit einer bewegenden Gedenkstunde in der Glückauf-Halle nehmen Sedats Mitschüler der Hochheider Marktschule Abschied. An der Fundstelle, nur wenige Meter entfernt, liegen Unmengen an Stofftieren, Blumen, Briefen und unzählige Kerzen.
Kalte Distanz zum Opfer und zur Tat
Im Mai 2001 kommt es vor dem Landgericht Duisburg zum Prozess. Oliver S. wiederholt sein Geständnis, zeigt aber keinerlei Reue, eher eine kalte Distanz zum Opfer und zur Tat. Tage später verurteilen die Richter den Haupttäter zu 14 Jahren Haft. Gleichzeitig bescheinigen Gutachter Oliver S. eine schwere Persönlichkeitsstörung. Heute ist S. 35 Jahre alt, sitzt nach wie vor in der forensischen Psychiatrie in Düren. Mittäterin Jessica V., zu sechseinhalb Jahren Jugendgefängnis verurteilt, wurde inzwischen aus der Haft entlassen. Auch S. könnte theoretisch in zwei Jahren wieder auf freiem Fuß sein, wenn gutwillige Gutachter ihm „keine Wiederholungsgefahr“ bescheinigen. Oliver S. hätte dann seine Strafe abgebüßt. Die Eltern aber werden weiter leiden, lebenslang. Sedats Mutter Ermine Canikli und sein Vater Aydin, inzwischen geschieden, haben schon bis heute allzu viel durchgemacht.
10 Jahre nach dem Pokemon-Mord
Bei der Einweihung der Gedenktafel für ihren ermordeten Sohn waren sie vor Ort, offenbarten ihre zwiespältigen Gefühle. „Ich empfinde Wut“, sagte Mutter Ermine Canikli unter Tränen. „Ich habe elf Jahre gewartet und dann wird hier so etwas gemacht. Die Leute gehen hier vorbei und treten auf die Gedenkplatte. Ich danke den Menschen, die heute hierhin gekommen sind und an Sedat denken. Aber man hätte auch einen Gedenkstein aus Marmor errichten können, zum Beispiel an der Stelle, wo Sedat gefunden wurde. Das hätte nicht die Welt gekostet. Das ist nicht gerecht!“
Auch der Vater ist enttäuscht, dass das Mahnmal erst jetzt eingeweiht wurde: „Ich bin enttäuscht, dass das elf Jahre gedauert hat. Ich weiß nicht, warum das so lange hin-aus gezögert wurde“, sagte Sadettin Aydin, Sedats Vater, sichtlich betroffen. „Doch ich bin erleichtert, dass nun endlich einmal etwas passiert ist. Ich freue mich darüber.“ Dann erinnert der Vater daran, dass Alt-OB Bärbel Zieling schon vor elf Jahren ein Mahnmal versprochen hatte. „Damals hat sie auch vor laufenden Kameras erklärt, wir Eltern würden jede erdenkliche Hilfe bekommen. Geschehen ist seitdem nichts.“