Till Reiners - der frühere vorwitzige Junge von nebenan „spuckt“ heute bittere Töne und begeisterte damit sein Publikum in der Rheinhauser Bezirksbücherei.

Früher in Geldern war Till Reiners der nette, schwer rundliche, manchmal vorwitzige Junge von nebenan, Klassenclown und Laienselbstdarsteller. Jetzt hat er ausstudiert, ist abtrainiert und „spuckt“ in Berlin und im Rest der Republik galligbittere Töne - aber mit Lausbubenlächeln, androgynem Charme und dem Seitenprofil des jungen Hape Kerkeling. Reiners führt auf der Bühne Slampoetry, Comedy und Kabarett auf - und er macht es gut.

War es komisch?

Sein erstes geschlossenes Programm „Da bleibt uns nur die Wut“ stellte er am Wochenende 100 Besuchern in der Rheinhauser Bezirksbücherei vor. Denen blieb manchmal der Mund offen und die Frage: War das jetzt komisch oder kritisch? Meist war es beides. Der 26-jährige Reiners, versteht es blendend, harmlos wirkende Situationen zu überzeichnen und dann, als der Lacher kommen soll, die Zuhörer mit einer Zusatzbemerkung in eine neue und andere Denklinie zu stoßen und diese darum das Lachen vergessen.

Beim Stichwort „Kinderriegel“ kommt er zu der Erkenntnis: „Die heutigen platt gedrückten Donuts mit dem Loch in der Mitte sind in Wirklichkeit Berliner, wie sie früher aussahen.“ Da habe man dem Verbraucher etwas geklaut, ein wirklicher Grund zur Wut.

Der talentierte Schnellsprecher und Neu-Berliner (noch nicht flachgelegt und ohne Loch) verkündet mit dem Verkaufsbewusstsein eines Werbeverführers: „Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Andere Länder haben Öl. Uns bleibt nur die Wut als Treibstoff.“

„Silberner Besen“

Dafür haben ihm „Wutbürger“ aus Stuttgart, der „Stadt der Erregung“, kürzlich einen „Silbernen Besen“ verliehen. Allerdings hat er den in Rheinhausen nicht gezeigt. Aber er erzählte über seine „kompromittierenden Erlebnisse in einer Muckibude“, in der ihm (angeblich) „Prachtexemplare“ männlicher Fortpflanzungsorgane vor Augen geführt worden sein sollen - als Reaktion auf eine von ihm angefertigte gezeichnete Miniatur dieses Körperteils. Frei nach Fallada gefragt: Kleiner Mann, was nun? Reiners: „Ich geh’ da nicht mehr hin.“ Zukunftsverweigerung, Realitätsverweigerung, das sind die Verhaltensweisen, die einem wie ihm, dem Politikwissenschaftler, auffallen und die er ironisch auseinandernimmt.

Aber dieser Bekenner und Erkenner der Ohnmacht kann, im Gegensatz zu Martin Luther, auch anders. Er schreibt ausgezeichnete Prosa in Kurzform, die man auch gerne lesen möchte. Die Situationsschilderung einer 16-Jährigen, die sich für eine Gesangsprobe beworben hat und am Ende nicht auf dem Siegerpodest stehen darf, hat eine berührende Ausstrahlung.

Sehr stark ist Reiners auch, wenn er absurdem Theater nahe kommt. In seinem Sketch „Hack“ zersäbelt er so ziemlich alles, was ihm unter die scharfe Wortbeilordnung gerät. Übrigens: Zum Alterswerk der unvergessenen Lore Lorenz (1920 - 1994) gehörte das Kabarettprogramm „Die Wut ist jung“. Dieser Vergleich adelt einen Jungen, mit der Wut, die ihm bleibt.