Mit Bildern, Symbolen und Buchstabenrätseln macht Schreiben lernen endlich Spaß. Neun Erwachsene, drei aus dem Zuwandererbereich, holen im Kurs der Volkshochschule dann der Arndtstraße in Rheinhausen nach, was das Bildungssystem in ihrer Jugend verpasste: Sie lernen schreiben, manche vervollständigen dabei auch ihre Lesefähigkeiten.
Zweimal wöchentlich lädt Kursleiterin Barbara Freund für jeweils drei Unterrichtsstunden (Kursdauer: 74) in das Klassenzimmer der VHS. „Ich war früher in der Grundschule tätig und hatte da mit Lese- und Schreibschwäche zu tun“, kennt sich die Pädagogin bestens mit der Materie aus. Ihre heutigen Schützlinge sind Erwachsene zwischen Mitte 20 und Anfang 50 Jahre, die Geheimnis und Kunst der Sprache mit Schreiben und Lesen noch einmal gründlich kennen lernen und beherrschen wollen.
Kinder werdenallein gelassen
Freund: „Oft ist das Elternhaus überfordert und in der Schule fällt die Schwäche nicht auf.“ Schreiben werde so zur negativen Erfahrung, in denen die Kinder allein gelassen würden. Vor allem gegenüber Mädchen habe sich eine Gleichgültigkeit entwickelt. „Bei Jungen wird mehr beachtet, ob sie in der Schule mit kommen. Mädchen erfahren da eine Vernachlässigung.“
Es müsse anstrengend sein, vermutet die Pädagogin, über Jahrzehnte hinweg zu verheimlichen, dass man Lesen und Schreiben nicht beherrsche. „Da erscheinen diese Menschen dann bei Prüfungen in Ausbildung oder beim Führerschein mit einer verbundenen Schreibhand.“ Oder mit einem Attest vom Augenarzt, der bescheinigt, dass die Brille verstärkt werden müsse.
UnterschiedlichesNiveau der Betroffenen
Dieses Versteckspielen koste Kraft, denn Schreibunkundige gelten heute in dieser Gesellschaft als schwarze Schafe oder gar behinderte Menschen, deren Aufnahmefähigkeit beschränkt sei. Freund: „Unsere Kursteilnehmer lernen gut. Das Niveau der Betroffenen ist unterschiedlich. 50 Prozent der im neuen Vormittagskurs können schon ganz gut lesen.“ Deshalb muss sich die Lehrerin auf jeden einzelnen einstellen.
„Wir arbeiten mit Bildern, deren sprachliche Bedeutung oder Begriff erklärt werden muss. Im Kursverlauf werden dann auch verschiedene seltene Buchstabengruppen wie st oder sp behandelt.“
Freund arbeitet im Alphabetisierungskurs mit spielerischen Methoden. Das Buchstabieren von Worten geschieht zuerst mit den Lautkennungen von Konsonanten (lll statt ell, bö statt be) ehe die ABC-Formen (Ka, Emm, Zett) eingebunden werden. In einem Wort klingt der Buchstaben nämlich nicht wie er heißt, sondern ändert sich entsprechend dem ihm folgenden Selbstlaut (Vokal).
Beliebt im Unterricht sind auch unterschiedliche Wortbildungen mit einem bestimmten Buchstabenstamm, nur in anderer Reihenfolge, ähnlich wie beim Scrabble. Kreativität und Fantasie der Teilnehmer werden gefördert, deren vorhandener Wortschatz mit Spielwitz erweitert. Auch Sätze müssen spielerisch ergänzt werden: „Der Pulli ist aus ... ?“ (Wolle)
Freund: „Die Teilnehmer sind konzentriert und begeistert dabei und staunen nach drei Unterrichtsstunden erstaunt über den schnellen Verlauf.“ Und: „Sie merken jedes Mal, dass sie mehr können. Das Selbstbewusstsein steigt sichtbar!“ Ein weiterer Baustein des Erfolgs: es gibt keine Prüfungsangst in diesem Kurs, zu dem es, anders als in der Schule, kein Abschlusszeugnis, sondern bei Bedarf eine Teilnahmebestätigung gibt. Auch der Unterschied zwischen Anfängern und Fortgeschrittenen wird nicht stigmatisiert.
Mama und Omawollen das auch können
Die Gründe für die Teilnahme sind vielschichtig. „Manche melden sich an, weil sie in ihrer beruflichen Tätigkeit unbedingt Lese- und Schreibkenntnisse brauchen.“ Andere hätten Kinder oder Enkel, die jetzt in die Schule kommen und wollten vermeiden, dass sie diesen gegenüber zugeben müssten: „Mama oder Oma kann das nicht!“
Für den nächsten Vormittagskurs ab Januar haben sich die meisten Teilnehmer schon angemeldet.