Rheinhausen. .
Affenhaus statt Klassenzimmer: Der Rumelner Wolfram Biedermann unterrichtet Schüler aus der Region im Krefelder Zoo.
Wolfram Biedermann ist Biologie-Lehrer an der Heinrich-Heine-Gesamtschule in Rheinhausen. Einen Tag in der Woche lehrt er allerdings an einem Ort, an dem vor allem viele junge Familien ihre Freizeit verbringen: Biedermann ist Lehrer beim Krefelder Zoo. „Früher wurde ich immer gefragt, was ich den Tieren denn beibringe“, sagt Biedermann. Der Witz werde aber nicht mehr häufig gemacht.
Seit 1992 lehrt der Rumelner in der Zoo-Schule, fünf Stunden seines wöchentlichen Lehrdeputats investiert er dort, ebenso wie seine vier Kollegen. Bald werden altersbedingt wieder Stellen frei, eine Zoo-Schule habe es allerdings schwer, neues Personal zu finden. Die meisten Pädagogen können sich nicht vorstellen, in einem Tiergarten zu arbeiten. „Wer aber einmal Lehrer im Zoo ist, der will hier nicht mehr weg. Uns muss man hier schon raustragen, wir machen das bis zur Pension.“ Der Job sei abwechslungsreich. Man habe nicht nur viel mit Tieren zu tun. Ebenso facettenreich sei der Kontakt zu Schülern. „Grundschüler schnappen sich schon mal, ruckzuck, deine Hand und stellen auf dem Weg durch den Zoo ganz viele aufgeweckte Fragen.“ Abiturienten verhielten sich natürlich anders, aber auch für sie sei ein Besuch bei der Zoo-Schule eine willkommene Abwechslung. „Bei uns gibt’s aber keine Führungen, sondern Unterricht.“ Der Inhalt werde mit den Klassen- oder Fachlehrern vorher abgesprochen. Allerdings mache sich auch hier das Turbo-Abi bemerkbar: Für Oberstufenkurse werde es immer schwieriger, Exkursionstermine zu finden. Viele müssten immer wieder kurzfristig verschoben werden.
Diesmal steht der Bio-Leistungskurs der Heinrich-Heine-Gesamtschule vor der Zoo-Tür. „Mit dem Besuch schließen wir das Thema Evolution und Soziobiologie ab“, sagt Lehrerin Claudia Carstensen. Nach Erklärung der Arbeitsaufgaben geht’s ins Affentropenhaus, wo unter anderem die Orang-Utans zu finden sind. Die Abiturienten sollen den „Sexualdimorphismus“, also Unterschiede im Erscheinungsbild der beiden Geschlechter, ausgewählter Affenarten herausarbeiten.
„Wir haben hier gewachsene Gruppen mit Vater-Mutter-Kind-Verhältnissen. Das ist in Zoos relativ selten,“ sagt Biedermann. Daher kämen auch Schüler und Studenten für Fach-, Diplom- und Doktorarbeiten nach Krefeld.
Mit Klemmbrettern, Arbeitsblättern und Kugelschreibern betreten die Rheinhauser Gesamtschüler die Schwüle im Affenhaus. Die Tiere sind unruhig, weil Handwerker im Gebäude arbeiten. Als Wolfram Biedermann mit den Jugendlichen vor dem Schimpansen-Gehege stehenbleibt, beginnt das Alpha-Männchen Charlie ein ohrenbetäubendes Gebrüll und trommelt gegen die Glasscheibe, an der Biedermann steht. Die anderen Schimpansen stimmen in die Kakophonie ein. „Er kann nicht zulassen, dass ein kleiner Zoo-Lehrer hier länger steht“, schmunzelt der Rumelner. Ein wuchtiger Gorilla-Silberrücken fixiert die Besucher, als sie in sein Blickfeld kommen. Als kräftige Schläge gegen die Holzwände den Bio-Kurs nicht vertreiben, schleudert er einer Schülerin eine Nuss entgegen — typisches Dominanzverhalten von Primaten. Der Zoo-Lehrer mahnt zur Vorsicht: „Wenn sie Nahrung übrig haben, werfen sie damit, sonst schmeißen sie Verdautes.“ Soweit sollte es zum Glück nicht kommen.
Nach etwa anderthalb Stunden waren alle Arbeitsblätter ausgefüllt, die Schüler beobachteten neben Menschenaffen auch Silberäffchen. Bei der Auswertung stellte sich heraus: Die Sozialstruktur der verschiedenen Affenarten, zum Beispiel ob sie monogam oder im Harem leben, wird durch das Verhalten der Weibchens bestimmt, die sich wiederum durch das Nahrungsvorkommen beeinflussen lassen.
„Es war ein sehr erfolgreicher Tag“, sagt Lehrerin Claudia Carstensen. Schulische Zoo-Besuche seien auch deshalb wichtig, weil sie intensiver seien als Dokumentarfilme. Nicht zuletzt, weil man die Tiere riecht und hört. „Man schützt nur, was man kennt, liebt und schätzt. Die Schüler bekommen hier einen anderen Bezug zu den Affen.“
Nach dem Unterricht bleiben alle Abiturienten noch im Krefelder Zoo, besuchen Wildkatzen, Pandas und Elefanten. Wolfram Biedermann hingegen fährt zurück zur Heinrich-Heine-Schule. Auf den Zoo-Lehrer wartet dort wieder der Alltag. Im Klassenzimmer statt im Affenhaus.