Homberg .

Im Franz-Haniel-Gymnasium in Homberg hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Erstmals in der über 100-jährigen Geschichte der altehrwürdigen Bildungsstätte an der Wilhelmstraße schlägt die Glocke nicht mehr nach 45 Minuten. Der Dreiviertel-Takt ist Vergangenheit, eine Unterrichtsstunde hat jetzt 70 Minuten.

„Es gab im Vorfeld breite Diskussionen“, sagt Direktor Werner Binnenbrücker. Das Modell habe aber inzwischen auch die größten Skeptiker überzeugt.

Hintergrund für die Umstellung ist die Schulzeitverkürzung auf acht Jahre, das sogenannte „G8-Modell“, das auch als „Turbo-Abi“ die Runde machte. Weil der Unterricht dafür teilweise auch in den Nachmittag verlegt wird, muss es zwingend eine einstündige Mittagspause geben.

Der „Mercedes“
unter den Modellen

„Bei dem alten Takt hätten die Schüler bis zu sieben Fächer am Tag und nachmittags noch Sport. Zudem wären sie dann viel länger in der Schule“, sagt Binnenbrücker. Die Doppelstunde sei wegen der Belastung über 90 Minuten keine ernsthafte Alternative gewesen. Also habe er sich für den „Mercedes“ unter den Modellen entschieden.

Durch die 70-Minuten-Einheit haben die Kinder in den fünften und sechsten Klassen nur noch vier Fächer am Tag, sie brauchen nicht mehr so viele Bücher zu schleppen, die Schultasche ist leichter. Für die siebten Klasse kommt einmal die Woche — ab der achten Klasse zweimal — eine fünfte Stunde nach der Mittagspause hinzu. In der Oberstufe gibt es zudem noch Sport am späten Nachmittag.

Nach knapp drei Wochen im neuen Takt sind von keiner Seite Klage zu hören. „Ich hatte vorher Doppelstunden bei den Leistungskursen. Das war weitaus anstrengender“, sagt Yannik Nellen (18) aus der Jahrgangsstufe 13. Die Freistunden könne der Rheinhauser jetzt sogar nutzen, um zwischendurch nach Hause zu fahren. Friederike Geerling (17) hat sogar den Eindruck, dass die Unterrichtszeit schneller vergeht. „Man muss sich erst daran gewöhnen, aber dann geht’s. Es gibt weniger Fächer am Tag und damit weniger Hausaufgaben, die man auch noch besser auf mehrere Tage verteilen kann.“

Nicht nur in der Oberstufe findet das Modell Anklang. „Nach 45 Minuten brach der Unterricht mitten im Thema ab. Das geschieht jetzt nicht mehr“, sagt Patricia Parcharidis (14). Aleksander Auth, ebenfalls neunte Klasse, schätzt die auf zehn Minuten verlängerten Pausen: „Die sind ideal, um sich von den 70 Minuten zu erholen.“

Auch die Eltern sehen die Umstellung positiv, berichtet Nikola Benn, Vorsitzende der Schulpflegschaft: „So weit ich gehört habe, sehen die meisten Eltern darin eine große Erleichterung für ihre Kinder.“

Und nicht zuletzt mussten sich die Lehrer umstellen. „Man kann jetzt schon sagen, dass der Unterricht am Vormittag deutlich ruhiger geworden ist, alleine weil es nicht mehr so viele Wechsel gibt“, sagt Fritz Junkers. Die längeren Stunden erfordern allerdings auch andere Methoden, eine Fortbildung dazu steht erst nächste Woche an. Hilfreich sind dabei die modernen „Smart-Boards“, eine Art digitale Tafel mit Internetzugang. Einige Schüler bringen ihre Hausaufgaben inzwischen auf dem USB-Stick mit.

„Ich lese andauernd etwas über die ,Riesenbelastung’ durch die Schulzeitverkürzung. Dabei können Schulen durch solche Modelle der Belastung pädagogisch sinnvoll entgegen wirken“, sagt Leiter Binnenbrücker.

Bei allen Vorteilen bleibt für die knapp 1000 Schüler dennoch ein kleiner Wermutstropfen: Nach der neuen Zeitrechnung beginnt die Schule jetzt jeden Tag fünf Minuten früher.