Duisburg/Moers. .

Der chemische Reaktor fuhr bei Rot über die Ampel. Ansonsten lief alles glatt beim größten Schwertransport der vergangenen 20 Jahre im Duisburger Westen. Empfänger: das Werk Sasol-Huntsman in Moers.

In sieben Stunden rollten am Wochenende vier Spezialtransporter einen insgesamt 700 Tonnen schweren Koloss vom Rheinhafen in Duisburg-Homberg zum chemischen Werk von Sasol-Huntsman in Moers-Meerbeck. Störungs- und pannenfrei, relativ pünktlich. Rund 2000 Homberger und etwa 1000 Moerser schauten gebannt zu.

Freitagabend, Punkt 22 Uhr am auf dem Gelände der neuen Feuerwache am Homberger Rheinpreußen-Hafen: Die Nacht bricht herein. Doch dutzende Strahler und Warnleuchten erhellen das Dunkel. Der hell erleuchtete, 300 Meter lange Corso steht bereit: Mittendrin der chemische Reaktor, ein grauer Riesenkochtopf, der ab Januar 2011 im Moerser Sasol-Werk die Jahresproduktion von Polyester-Vorprodukten von 60 000 auf 105 000 Tonnen steigern soll.

Gigantische Ausmaße

Seine Maße sind gigantisch: 24 Meter lang, 9,25 Meter breit, 7,10 Meter hoch, 567 Tonnen schwer. Das Produkt des Unternehmens MAN Reactors steht auf einer 80 Meter langen Plattform mit 128 Rädern auf 18 Achsen, die einzeln lenkbar sind. Das flache Ding heißt ganz abstrakt „SPMT“, „Self propelled modular Transporter“. Davor und dahinter drei jeweils 50 Meter lange, zugkräftige Mercedes-Laster mit den beiden grauen Deckeln des Reaktors sowie den passenden Rohren, den Zu- und Ableitungen.

Der Bonner Uwe Rieger (45), der die Plattform mit einer Fernbedienung vorm Bauch von Hand steuert, sein Mainzer Kollege Thilo Fischer (45) und zwei weitere Fahrer werfen die schweren Dieselmaschinen ihrer Transportfahrzeuge an. Rieger und Fischer, Angestellte des Mainzer Transportunternehmens Riga Baumann, sind gelassen. Beide haben 20 Jahre Berufserfahrung, sind ein eingespieltes Team: „Es gibt Leute, die haben schon bei normalen Autos Probleme. Und wir müssen uns trotzdem da durchkämpfen“, schmunzelt Fischer gut gelaunt. „Aber es ist nit so schlimm wie es aussieht. Das ist nix, was uns umwirft.“ Zumal das Team die Strecke schon längst abgefahren ist. Also, auf geht´s…

Maximal fünf Stundenkilometer

Langsam, mit maximal fünf Stundenkilometern extrem langsam, fahren die Männer ihre Transporter vom Gelände der Wache der Homberger Feuerwehr über die Kreuzung an der Rheindeichstraße in die vierspurige Lauerstraße. Da steht die Ampel auf Rot. Die Polizei hat die Rheindeichstraße in beiden Richtungen mit Einsatz- und Mannschaftswagen abgesperrt. Rasch bildet sich aus Richtung Rheinbrücke ein Rückstau von mehr als 300 Metern Länge, bis zur Westfalen-Tankstelle.

An allen Ecken, an allen Straßenrändern stehen Dutzende Homberger, zu Fuß, mit und ohne Fahrräder, schauen, staunen, knipsen, filmen. Die Zaungäste starren in den Himmel, wo ein Hubschrauber kreist. Aus dem Helikopter dreht die britische Versicherungsgruppe Zurich, die den Schwertransport versichert hat, einen Werbefilm. Ein zweites Filmteam mit 30 Engländern an Bord ist auf der Lauerstraße mit eine professionellen Kamerawagen unterwegs.

Leuchtende Karawane

Die leuchtende und strahlende Karawane zieht die Lauerstraße hinunter, noch nicht mal im Schritttempo. Auch am Bürgermeister-Wendel-Platz haben sich etwa 1000 Schaulustige versammelt. Sie sehen, wie die Plattform hier der Fußgängerbrücke ausweichen muss und in die Wilhelmstraße nah links einbiegt.

Aber hier stehen die dicken Äste von drei Kastanien im Weg. Gleich viermal müssen die Hubleiter in die Baumkrone fahren. Die Motorsägen heulen auf. Spannung liegt in der Luft. Erst nach dreißig Minuten ist der Weg frei. Allgemeines Aufatmen. Die Reaktor-Plattform fährt an, rollt langsam über ausgelegte Holzmatten auf den Platz, überquert ihn schräg, auf dem kürzesten Weg. Doch bei höchstens vier Stundenkilometern Geschwindigkeit dauert auch dieses Manöver weitere zwanzig Minuten. Es ist fünf vor zwölf, als die Reaktor-Plattform wieder auf die abgesperrte Lauerstraße einbiegt. Dort haben die drei anderen Transporter, fünf Einsatzwagen der Polizei und die gelben Wagen eines bekannten Rheinhausener Schwertransportbegleiters auf den Reaktor-Koloss gewartet, eine Stunde lang. Doch auch an der weiteren Wegstrecke – Lauer- und Rheinpreußenstraße in Homberg, der Asberger, Essenberger und Römerstraße in Moers warten schon die nächsten Anwohner. Die Bürgersteige sind dort überall für parkende Autos gesperrt und entsprechend gekennzeichnet.

Ohne Störungen rollt der lange Corso gegen halb sechs Uhr morgens auf das Werksgelände von Sasol-Huntsman in Meerbeck. Damit ist die Bestellnummer JMA 4500724020, der Reaktor, geliefert, wenn auch mit 320 Minuten Verspätung.

Die Bilanz: Es gab weder Unfälle, noch Störungen. Homberg ist schließlich nicht Gorleben – und der Reaktor kein Castor.