Duisburg-Baerl. 19 000 Touristen kamen 1929 zu Pfingsten am Baerler Bahnhof an. Was sie in der einstigen „Perle am Niederrhein“ suchten, verrät die Ausstellung.
Mal eben auf die andere Rheinseite rüber? Wer im Zeitalter der Brücken groß geworden ist, der kann sich schwer vorstellen, dass der Weg ans andere Ufer für die Baerler einst nicht nur zum Kraftakt, sondern sogar zur lebensgefährlichen Angelegenheit werden konnte. Mit kleinen Booten, den Nachen, ging es damals hinüber zum Arbeitsplatz in der Schwerindustrie oder zum Markt in Hamborn, um landwirtschaftliche Produkte zu verkaufen. Wenn sich der gewaltige Vater Rhein dann von seiner wütenden Seite zeigte, konnte das böse enden. „Viele Kinder, Frauen und Männer sind damals ertrunken. Ihre Namen sind in unseren Kirchenbüchern verzeichnet“, sagt Brigitte Buchmann, die die Archive des Baerler Heimat- und Bürgervereins und der Evangelischen Kirchengemeinde betreut.
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Immer mal wieder wird ein Teil des Geschichts-Schatzes, der unter dem Dach des Gemeindehauses an der Schulstraße bewahrt wird, präsentiert. Diesmal hat die Archivarin gemeinsam mit der Kirchengemeinde die Ausstellung „Brücken und das Leben am Rhein“ organisiert. Geplant war das Ganze eigentlich schon vor zwei Jahren. „Damals ist die A 42-Brücke 30 Jahre alt geworden. Das wollten wir zum Anlass nehmen.“ Aber dann stoppte die Hochphase der Pandemie auch diese Ausstellung, die deshalb erst am Samstag, 8. Oktober, im Gemeindehaus eröffnet wird.
Vom Erdgeschoss bis in die erste Etage werden Bilder und Erklärungen zu sehen sein, die Brigitte Buchmann zu den historischen Dokumenten geschrieben hat. Sie könnte sogar noch viel mehr Platz gebrauchen: „Ich habe Material ohne Ende.“ Als sich die Archivarin zur Vorbereitung der Ausstellung auf die Spur der Geschichte der Baerler Brücken begab, da merkte sie schnell, dass der ganze Themenkomplex des Lebens am Fluss so viel Bereicherndes zu bieten hat. Und so ranken sich um die Historie der Brücken nun auch Geschichten über Fischerei, Schifffahrt, Deichbau, Hochwasser, Unglücke am Rhein und das touristische Baerl, das damals Luftkurort war und als „Perle des Niederrheins“ beworben wurde.
Nachdem die 1910 gebaute Haus-Knipp-Eisenbahnbrücke Ende der 20er Jahre auch für den Personenverkehr geöffnet wurde, kamen die Menschen in Scharen. Brigitte Buchmann hat recherchiert, dass 1929, am ersten Pfingstfest nach der Öffnung, 19 000 Touristen am Baerler Bahnhof ankamen. „Die Arbeiterinnen und Arbeiter von der anderen Rheinseite konnten für wenig Geld einen schönen Tag hier verleben.“ Eine Anzeige, die in der Zeitung „Der Grafschafter“ erschien, veranschaulicht in der Ausstellung, wie sich Baerl einst als Naturparadies präsentierte. Vor allem der Wald, so ist zu lesen, biete den Fremden eine Stätte der Erholung. Das Herz des Spaziergängers wird auf diesen Gängen belebt durch den Anblick grasender Rehe und durch die herzerfrischenden Melodien gefiederter Sänger in den Wipfeln.
Eine wunderbare Mischung haben die Ausstellungsmacher im Gemeindehaus zusammengetragen. Wer den Rhein liebt, dem wird die Bilderschau bestimmt gefallen. Vieles davon stammt aus dem Nachlass des Heimatforschers Georg Kreischer. Zum Beispiel das Foto des 1930 gekenterten Schleppdampfers „Barba“, der mit Hilfe eines Schiffskrans wieder aufgerichtet werden konnte. Tragisch war der Hochwassertod der Familie Schmitz im Jahr 1855 – als der Deich zwischen Baerl und Binsheim an drei Stellen brach. Noch heute erinnert ein Gedenkstein am Glockenturm der Dorfkirche daran, wie das Haus der Familie von den Wassermassen mitgerissen wurde. In der Ausstellung ist nachzulesen, dass der Vater, der sich auf einen Baum retten konnte, hilflos zuschauen musste, wie seine Frau und die fünf Kinder in den Fluten ertranken.
Acht Hektar Wald mussten für die A 42-Brücke gerodet werden
Viel Raum nimmt auch das Thema Brückenbau ein. Brigitte Buchmann ist vor allem davon fasziniert, wie vor 100 Jahren das Mammutprojekt Eisenbahnbrücke gestemmt wurde. Die Archivarin blättert in einer dicken Mappe und zeigt Fotos davon, wie die wuchtigen Stahlträger mit vielen kleinen Kähnen über das Wasser transportiert wurden. „Damals gab es hier noch keinen Strom. Da wurde eine Dampfmaschine aufgestellt und rund um die Uhr mit 1000 Leuten auf der Baustelle gearbeitet.“ Der Stahl, sagt sie, kam von Krupp und nicht aus China: „Deshalb steht die Brücke auch heute noch.“
Zum beliebten Wohnstandort wurde Baerl später vor allem wegen der guten Verkehrsanbindung durch die von 1986 bis 1990 gebaute A 42-Brücke. Der Wald, mit dem sich die Perle am Niederrhein vor 100 Jahren schmückte, hat dafür allerdings bluten müssen: acht Hektar wurden für die Brücke gerodet, auf der heute täglich 100 000 Fahrzeuge an dem einstigen Luftkurort vorbei rollen.
>>> DIE AUSSTELLUNG ERÖFFNET AM 8. OKTOBER:
Die Ausstellung „Brücken und das Leben am Rhein“ wird am am 8. Oktober um 16 Uhr in den Räumen der Ev. Kirchengemeinde Baerl, Schulstraße 5, eröffnet. Um 18.30 Uhr gibt es einen begleitenden Gottesdienst in der Dorfkirche unter dem Motto „Lass mich auf deine Brücken trauen“. Die Ausstellung kann am Eröffnungstag bis 21 Uhr besichtigt werden. Zu sehen ist sie bis Ende Januar 2023 zu den Öffnungszeiten des Gemeindebüros: montags, dienstags, donnerstags und freitags zwischen 10 und 12 Uhr und nach Absprache. Kontakt: 02841 8205.