Duisburg-Rheinhausen. Weihnachten ist die Gefahr eines Rückfalls für Alkoholiker sehr hoch. In Duisburg leisten die Anonymen Alkoholiker Erste Hilfe an den Festtagen.
Es gibt Phänomene, die lassen sich nur schwer erklären. Zum Beispiel, warum ausgerechnet das Weihnachtsfest, das von seinem christlichen Ursprung her als Zeit der Freude vorgesehen ist, zur extremen Belastungsprobe werden kann. Die meisten Menschen stecken den psychischen Druck, den diese hochoffizielle Zeit der Besinnlichkeit ausüben kann, am Ende doch recht gut weg und verbuchen den Stress unter „Alle Jahre wieder“. Aber es gibt auch die, für die der heilige Abend der Startschuss zum gefährlichsten Ausnahmezustand des Jahres ist.
„Weihnachten ist die Gefahr eines Rückfalls für uns als Alkoholkranke besonders hoch“, sagt Rolf. Sein Nachname ist an dieser Stelle tabu, denn der Rheinhauser spricht für die Anonymen Alkoholiker. „Mein Name ist Rolf und ich bin Alkoholiker“ – den anfangs so gewöhnungsbedürftigen Begrüßungssatz der weltweit vernetzten Selbsthilfe-Organisation hat er vor fast drei Jahrzehnten sprechen gelernt. Eine riesige Überwindung war das damals, als er zum ersten Mal den Weg zur Ortsgruppe im Duisburger Westen bewältigte. Eine gefühlte Ewigkeit ist er vor dem Eingang hin und her gelaufen, bevor er sich den letzten Ruck gab und über die Schwelle trat. Getan hat er das nur, weil es zur Auflage der Klinik gehörte, in der er einen Entzug gemacht hatte. Damals hat Rolf nicht daran geglaubt, dass zwei Buchstaben sein Leben retten könnten. Heute weiß er es: Ohne AA hätte er es nicht geschafft.
[Sie möchten keine Nachrichten aus Duisburg mehr verpassen? Hier können Sie unseren kostenlosen abendlichen Duisburg-Newsletter abonnieren.]
„Mittlerweile gehöre ich zu den Staubtrockenen“, sagt der Rheinhauser. Das klingt nüchtern – im doppelten Wortsinn. Und doch schwingen Stolz und schmerzhafte Lebenserfahrung in seiner Stimme mit. Exakt 27 Jahre hat Rolf keinen Alkohol mehr getrunken. Was nicht heißt, dass er sich als Suchtkranker zurücklehnen kann. Die wöchentlichen Treffen der Anonymen Alkoholiker begleiten den 69-Jährigen auch heute noch durch sein alkoholfreies Leben.
Seine Rolle bei den Zusammenkünften hat sich allerdings verändert im Laufe der vielen Jahre. Er ist schon lange nicht mehr der, der zitternd nach dem Strohhalm in Form der ausgestreckten Hand der anderen greift. Auch wenn AA keine Hierarchien kennt, so ist Rolf dennoch zu einer Art Führungskraft geworden. Er setzt sich nicht nur für die Rheinhauser Gruppe ein, sondern ist auch Sprecher der Regionalgruppen in Duisburg, Mülheim, Dinslaken und Oberhausen, engagiert sich als Internetbeauftragter, macht Meetings für Insassen von JVAs, arbeitet an der monatlichen Sendung der Anonymen Alkoholiker bei Radio Duisburg mit und spricht in Schulen über Alkoholismus.
„Wenn du Sorgen hast: Ruf an, bevor du trinkst!“
Und: Weihnachten ist er sowas wie ein Engel in der Not. Denn sein Telefon bleibt an. Trotz Familienfeier wird der Rheinhauser für alkoholkranke Menschen erreichbar sein, die auf ihrem Weg der Abstinenz taumeln. Auslöser ist meist der tückische Weihnachts-Cocktail, der in kein Glas passt: Wenn die Allgegenwärtigkeit des Alkohols an den Feiertagen mit der seelischen Last eines so gefühlsbetonten Festes und der Einsamkeit gemixt wird, dann wird es haarig. „Da schreit dann der Alkohol immer lauter“, weiß Rolf. Für ihn gibt es in einer solchen Lage nur einen Ausweg. „Wenn du Sorgen hast: Ruf an, bevor du trinkst!“ Das Erfolgsrezept der Anonymen Alkoholiker besteht im Grunde nur aus einer einzigen Zutat: offene Gleichgesinnte, mit denen man sprechen kann. Genau so einer ist Rolf.
Wenn die Schnapsflasche im Keller versteckt ist
Er hat das alles erlebt. Besoffen im Vorgarten schlafen. Einen kleinen Cognac im Kreis der Familie aus der Hausbar trinken und sich dann heimlich die im Keller versteckte Schnapsflasche an den Hals setzen. Den Heiligabend schon morgens mit Weinbrand einläuten und nicht mehr bei Sinnen sein, wenn die Verwandtschaft am Nachmittag zu Besuch kommt. Von den Freunden der Kinder als lallender Vater gesehen werden. Es nicht bis an den Frühstückstisch schaffen, ohne vorher den Lebensmotor mit Hochprozentigem zu betanken. Und, das Schlimmste: Für all das immer wieder Entschuldigungen zu finden und sich die Krankheit nicht einzugestehen.
Eine Art Erweckungserlebnis im irdischen Sinn hatte Rolf zu seinem Glück bei den Anonymen Alkoholikern. Er erinnert sich noch immer an das Gefühl, als er beim ersten Treffen in der Runde saß und den anderen zuhörte. „Die haben über ihr Leben erzählt und ich dachte, sie sprechen über mich.“ Das gab den heilsamen Anstoß: „Als ich nach Hause ging, konnte ich mir erstmals eingestehen, dass ich Alkoholiker bin.“ Die Krankheit wird ihn für immer begleiten. Rolf hat gelernt, damit richtig gut zu leben. Die helfende Hand der Anonymen Alkoholiker wird er dennoch nicht mehr loslassen. Denn heute gibt es ihm Kraft, dass er auch anderen den Weg aus der Sucht weisen kann.
>>> Hier gibt es Hilfe für Alkoholkranke an den Weihnachtstagen
„Anrufen bevor man trinkt“ – das ist der Kernsatz der Anonymen Alkoholiker. Rolf von der Rheinhauser AA-Gruppe ist auch an den Feiertagen rund um Weihnachten und Silvester im Notfall unter folgender Rufnummer erreichbar: 02065/70 11 42. Er kann mit Worten Erste Hilfe leisten. „In dem Moment, wo man spricht, löst sich meist der Druck.“ Außerdem kann er Anrufern mitteilen, wo und wann es rund um Weihnachten und Neujahr in Duisburg Meetings der Anonymen Alkoholiker gibt.
Heiligabend um 20 Uhr wird zum Beispiel das reguläre Treffen im DRK-Haus an der Erftstraße 15 in Duisburg-Mitte stattfinden. Am ersten Weihnachtstag ist ebenfalls an der Erftstraße um 17 Uhr das Samstagstreffen. Die Gruppe in Rheinhausen kommt immer donnerstags um 19 Uhr und sonntags um 11 Uhr im Gemeindehaus der Erlöserkirche an der Beethovenstraße 18 zusammen. Zu den Treffen muss man sich nicht anmelden. Die „Eintrittskarte“ ist der Wunsch, nüchtern zu bleiben
Schnelle Hilfe gibt es auf der Internetseite www.anonyme-alkoholiker.de. Gleich auf der Startseite findet man den Kontakt zum Erste-Hilfe-Team. Außerdem gibt es Links zu Online-Meetings, die per Zoom auch an den Feiertagen stattfinden. „Weihnachten muss keiner allein sein“, macht der Rheinhauser Rolf Betroffenen Mut. Informationen und Hilfe gibt es von der Rheinhauser AA-Gruppe auch unter der Mobilnummer 0152/31 80 12 68.