Duisburg-Rheinhausen. Was für eine Kulisse! In Friemersheim hat der Freundeskreis lebendige Grafschaft einst das Lehrerhaus wachgeküsst und liebevoll gestaltet.
Der Schritt über die Türschwelle ist schnell getan. Doch dann muss der eine oder andere sich irgendwie vergewissern, nicht doch in eines dieser Zeitlöcher gefallen zu sein, mit denen Hollywood so viel Geld macht. Im „Lehrerhaus“ an der Friemersheimer Straße offenbart sich die Welt von 1850. Nicht museal aufgearbeitet mit Schautafeln und modernen Glaskästen, sondern fast schon real. „Hier ist wirklich alles alt“, versichert Günter Pfeiffer, seit fast 30 Jahren 1. Vorsitzender des Friemersheimer Vereins „Freundeskreis lebendige Grafschaft.“
Schulunterricht im Wohnzimmer
Ihn beeindruckt der Zeitsprung natürlich nicht mehr ganz so sehr. Zu viel Zeit haben er und seine Vereinskollegen mit der liebevollen akribischen Ausstattung des Hauses verbracht, das ursprünglich als Wohnhaus für den Küster der gegenüberliegenden Kirche errichtet wurde. Das war so gegen 1800. Damals war Friemersheim französisch und den Franzosen war eher an schulischer als an klerikaler Bildung gelegen, weswegen das Haus zur Schule umgewidmet wurde.
Primär war es ein Lehrerhaus und ganz zu Anfang unterrichtete die pädagogische Fachkraft die Dorfkinder im eigenen Wohnzimmer. Später, um 1858, wurde der Betrieb dann professioneller. Bis 1958 war der weiße zweistöckige Bau, in dem im oberen Geschoss normale Wohnräume vermietet sind, tatsächlich die offizielle Schule.
Danach zog ein Segelfliegerverein ins Lehrerhaus und nutzte die hinteren Räumlichkeiten. Dann kam 1975 die Gebietsreform und ab da wurde das weitere Schicksal des Gemäuers kurze Zeit ungewiss, da das Haus komplett abgerissen werden sollte. Zum Glück war der Freundeskreis Lebendige Grafschaft schnell zur Stelle.
„Als der Verein 1976 gegründet wurde, wollten ein paar Leute damals eigentlich den alten Borgardtshof vor dem Abriss retten“, erinnert sich Günter Pfeiffer. Das hat nicht geklappt und somit hatte man viele motivierte Mitstreiter, einen frisch gegründeten Verein, aber nichts zu tun. Also fokussierten sich die Akteure auf das Lehrerhaus, erarbeiteten ein Museumskonzept und legten los. Zuerst nur im vorderen Bereich und als 1997 die Segelflieger auszogen auch im alten Schulzimmer, das komplett renoviert werden musste.
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Keine Kleinigkeit, auch nicht für einen Verein, der damals fast 500 Mitglieder zählte. Erleichtert wurde das Projekt wahrscheinlich auch durch das Fürsprechen vom damaligen Oberbürgermeister Josef Krings, der die Idee nach Kräften förderte. „Zur feierlichen Übergabe an den Verein war damals sogar Ministerpräsident Wolfgang Clement hier. Da war der Bau komplett leer und wir hatten noch gar nichts zu zeigen“, erinnert sich Pfeiffer.
Geschadet hat der Besuch jedenfalls nicht. Schon kurze Zeit später zogen die ersten Exponate ins Schulzimmer, das sich mit den Jahren immer weiter gefüllt hat. „Heute laden wir Schulklassen ein, den Schulalltag vor 100 Jahren hautnah zu erleben. „Das ist immer ein Riesenspaß für die Grundschüler, wenn ich sie mehrmals stramm stehen lasse“, lacht Pfeiffer und bedauert sehr, dass Corona diese Form des gelebten Museums momentan nicht möglich macht.
Die Geschichte des Lehrerpults
Doch auch ohne den Drill des Oberlehrers ist das Museum ein wahres Schatzkästchen. „Die Schulbänke sind international. Wir haben welche aus Irland, der Ukraine und aus Frankreich, erklärt der 1. Vorsitzende und kann wirklich zu jedem Exponat die Geschichte dahinter und den Herkunftsort erklären. Fast genauso spannend ist die große Schautafel mit den Buchstaben der Deutschen Schrift, die rechts neben dem beeindruckenden dunkel gebeizten Lehrerpult hängt. Das hat der Verein vor ein paar Jahren einer älteren Dame aus der Umgebung abgekauft, erklärt Pfeiffer.
Hier kommt die Musik aus Halleluja-Pumpe und Psalmen-Quetsche
Das weitere Interieur des Schulraumes ist nicht weniger spannend und skurril. Zur musikalisch/religiösen Früherziehung gab es auch damals schon ein Klavier und ein Reiseharmonium, Letzteres wird liebevoll auch Halleluja-Pumpe oder Psalmen-Quetsche genannt. Bewacht wird das Instrument von einer Horde ausgestopfter Eulen, einem Kolkraben und einer Blindschleiche in Formaldehyd, die einträchtig nebeneinander auf einem alten Schrank stehen und hinabschauen. „Unsere Gemeinschaftsräume nutzen wir normalerweise für unsere Treffen. Die Frauen machen hier ihr Vereinsfrühstück und außerdem kommen die Ahnenforscher einmal im Monat hier zusammen und helfen beim Stöbern in alten Unterlagen und Kirchenbüchern“, sagt Günter Pfeiffer wehmütig und meint damit natürlich die Corona Pause.
Momentan findet hier nichts statt. Vor allem, weil viele der 370 Mitglieder zur Risikogruppe gehören und ganz freiwillig zu Hause bleiben. Jüngere Menschen haben momentan offenbar wenig Lust, sich an der Instandhaltung des Museums zu beteiligen. Wer jetzt vielleicht neugierig geworden ist, kann die Corona-Pause nutzen und sich auf der gut gemachten Internetseite über den Verein „Freundeskreis lebendige Grafschaft“ informieren: www.lehrerhaus-friemersheim.de.