Homberg. Auf ehemaligen Werksflächen hat sich die Natur ihren Lebensraum zurückerobert. Hier regiert der Naturschutz - jenseits von Krisen und Produktion
Der Star, man ahnte es bereits, lässt sich nicht blicken. Prüfende Blicke ins Grün. Als da wären: Fläche, jede Menge davon, hier und da Gestrüpp - die reinste Wildnis. Aber IHR gefällt’s, hier fühlt sich die Bufo Calamita wohl, wen scheren menschliche Maßstäbe! Wir stehen auf der ehemaligen Halde IV der Chemiefabrik Venator. Bereits vor vielen Jahren wurde sie abgetragen, heute führt hier jenseits aller Produktionszwänge und wirtschaftlicher Krisen der Artenschutz Regie. Im Rahmen der Untersuchungen zum Neubau der Rheinquerung Neuenkamper Brücke der A40 wurde eine Population der Bufo Calamita festgestellt, besser bekannt als Kreuzkröte.
Die Menge der geschützten Tierchen soll inzwischen beachtlich sein. Hier in Homberg leben sie in bester Gesellschaft - außer ihr haben sich auf der ehemaligen Halde Grasfrösche, Erdkröten und Seefrösche angesiedelt. Auch der Weißstorch, Bekassine und die Bach- und Gebirgsstelzen, beides passionierte Sänger, wurden beobachtet. Sogar der vom Aussterben bedrohte Wiesenpieper, erzählt man uns, ließ sich blicken. Weiter geht er, der Rundgang durch diesen unbekannten Teil des Werksgeländes.
Wir sind eine größere Gruppe an diesem Tag, neben Venator-Chef Jürgen Koy und Liegenschaftsleiter Klaus Pilger ist die Bauingenieurin Silvia Moratz mitgekommen. Ihr obliegt auch die Aufsicht der Flächen, die der Lauf der Zeit auf dem Fabrikgelände geschaffen hat. In den letzten Jahrzehnten hat Sachtleben, heute Venator, Halden abgedichtet, die Halden II und IV sind längst begrünt.
Die Kröte mag es ruhig und karg
Unversehens ist für Moratz die Verantwortung für eine Reihe neuer Werksbewohner dazu gekommen. Seit auf der ehemaligen Halde IV eine Population der geschützten Kreuzkröten amtlich ist, gelten die Vorgaben des Naturschutzes, berichtet Pilger. Die Störung der Tiere oder eine Zerstörung ihres Lebensraums ist verboten. „Na Chef, wie gefällt dir deine Halde?“, fragt Pilger. Jürgen Koy sieht zufrieden aus. „Umso bemerkenswerter, da wir uns hier in einem Industriegebiet befinden.“
Mit der höheren Naturschutzbehörde der Bezirksregierung und der unteren Naturschutzbehörde Duisburg wurde ein Schutzkonzept erarbeitet, das vorgibt, wie das Reich der Kreuzkröte aussehen sollte, das hier rund 5400 Quadratmeter misst. Die Fläche wurde erst geschoren, die Kröte liebt es vegetationsfrei. Stein- und Sandhaufen dienen als Unterschlupf. Geländemulden sollen sich zu Flachgewässern entwickeln, damit die Tiere in Ruhe laichen können. Ihren Lebensraum sichert ein einseitig übersteigbarer Amphibien-Schutzraum. Inzwischen wurden hier auch andere Frösche und Kröten gesichtet, berichtet Venator-Sprecherin Gisela Kolibabka. Man hofft, dass im Laufe der Zeit weitere gefährdete Arten der Roten Liste eine neue Heimat finden.
Szenenwechsel. Nächster Stopp ist die ehemalige Feststoffdeponie – ebenfalls nicht mehr als solche zu erkennen. Es ist überraschend leise, wie von weither rauscht die Stadt. Bis 2009 lagerte hier Bauschutt, 2012 begann die Naturierung der rund 130 000 Quadratmeter Fläche. Heute ist sie teils bewaldet. Moratz weist auf Mini-Bauten, Eulenstände, auf denen sich die kleinen Jäger nach Einbruch der Dunkelheit niederlassen, um ihr Gelände in Ruhe auszuloten. Sie entstanden mit der Landschaftsbehörde.
Vier junge Wanderfalken
Außerdem wurden Totholzhaufen angelegt, ein Angebot an Insekten. Steinwälle bieten Reptilien wie Eidechsen Schutz. „Und das in einer Chemiefabrik!“, sagt Klaus Pilger. „Die Natur erobert sich alles zurück“, bestätigt Koy. „Früher“, erinnert sich Pilger, der seit langer Zeit im Werk arbeitet, „hatten wir auf dem Gelände Rehe.“
Die sucht man bei diesem grünen Rundgang allerdings vergeblich. Dafür stehen wir am Ende über den Dächern von Homberg. Letzte Station: das Dach des Zink-Barium-Werks. Hier nisteten bereits zum zweiten Mal Wanderfalken. Vier Jungtiere konnte Michael Kladny, Falkner des Nabu, diesmal beringen. Die Brutplätze wurden seinerzeit extra eingerichtet, um den Vögeln „etwas Hohes“ zu bieten, berichtet Pilger. Weit unten, tief im Grünen, glaubt man die Kreuzkröte aufmunternd quaken zu hören: Weiter so! Uns kriegt man so schnell nicht klein!