Baerl. Wie eine Seniorenwohnanlage einen Ort entzweien kann: Ein Investor will auf einem Baerler Kirchengrundstück bauen. SPD und Grüne laufen Sturm.
Im Gemeindehaus an der Baerler Schulstraße ist die Stimmung schlecht. Dabei waren Pfarrer Andreas Klumb und Jürgen Bongards, Vorsitzender des Presbyteriums, davon ausgegangen, eine gute Lösung gefunden zu haben.
Mitgliederschwund und hohe Kosten haben die Gemeinde ins Minus gebracht. Es gilt, ein fünfstelliges Haushaltsloch auszugleichen. Dies soll mit Hilfe einer Erbpacht geschehen. Mit dem Investor TNP Leipzig fand sich ein passender Partner. Die Gesellschaft, die in soziale Projekte investiert, will Teile des Kirchengeländes mit einem Wohnpark für Senioren bebauen. Die Einnahmen würden reichen, um das Defizit zu tilgen. Die Bauvoranfrage war positiv.
Bürger lehnen den Neubau in Baerl ab
Da Bürger den Neubau ablehnen, erwirkten SPD und Grüne einen Bebauungsplan, der dem Bauherrn jetzt mindestens eine Verzögerung beschert. Eigentlich sollten die Arbeiten schon im Sommer beginnen.
Still und friedlich liegt Baerl da. Dabei ist inmitten der Idylle ein Machtkampf entstanden, in dessen Zentrum sich Andreas Klumb, Pfarrer der evangelischen Gemeinde, eher unversehens wiederfand. Es geht um drei Baukörper, zwei auf dem Parkplatz an der Schulstraße, einer auf der Wiese und der Fläche des Gemeindesaals. Entstehen soll eine Anlage für Senioren, die vom unterstützten Wohnen über die Tages- bis zur Vollzeitpflege alles bietet. Klumb hatte schon befürchtet, „dass wir an unseren Immobilien etwas tun müssen.“ Der Gemeindesaal ist zu groß, alt und muss renoviert werden. Allein die Betriebskosten betragen über 20 000 Euro. Da ist es wirtschaftlicher, abzureißen.
„Die Kirche kann weiterarbeiten und alte Menschen profitieren“
Der Pfarrer spricht von einer „Win-Win-Situation“, einem „Mehrwert für den Ort“. Die Kirche kann dank der Pacht weiterarbeiten wie bisher. Und alte Menschen profitieren. Es gibt betreutes Wohnen in Baerl, aber kein Pflegeheim. Viele alte Baerler mussten deshalb nach Homberg oder Moers ziehen, erlebte er. Künftig könnten Senioren in ihrer Umgebung bleiben. Und auch die vielen Familien, die nach Baerl kommen, würden irgendwann mal alt.
SPD und Grüne vor Ort lehnen die Pläne ab. Sie verweisen auf Bürgerversammlungen, bei denen der Erhalt des dörflichen Baerl Dauerthema ist: Da kommt ein ganzer Wohnpark denkbar schlecht an. „Die Baerler wollen das so nicht“, so SPD-Chef Hans-Gerd Bosch und Dietmar Beckmann (Grüne). Das Objekt sei zu groß, das Adjektiv klotzig macht die Runde. Auswärtige, heißt es, wollten eine Fläche von der Größe eines halben Fußballplatzes zupflastern. Dazu anderthalb Jahre Bauzeit und kaum Parkraum.
Richten soll’s ein übergestülptes Regelwerk, ein B- oder Bebauungsplan. Bisher galt für die Schulstraße nur der Flächennutzungsplan. Nicht konkret genug, finden SPD und Grüne und setzten in der Bezirksvertretung gegen CDU und FDP den Aufstellungsbeschluss durch. Am 30. September soll er den Stadtrat passieren. Dann muss das Planungsamt ans Werk. Der Bebauungsplan Nr. 1260 Baerl-Schulstraße, wie das Regelwerk nun offiziell heißt, steht auf Platz sieben der bezirklichen Prioritätenliste. Und das kann dauern.
Klumb und Bongards sind besorgt. Die Verträge sind unterzeichnet. „Und jetzt“, sagt Klumb, „stehen wir auf der Warteliste.“ Der Pfarrer breitet Pläne aus. Allein die kursierende Objektgröße ärgert ihn. Rechnet man alles auf Stockwerke um, werden 1737 Quadratmeter Fläche bebaut. Die Gebäudehöhe, zweigeschossig, passt sich an. Ein Saal kann von der Gemeinde mit genutzt werden. Und für den Parkplatz gibt’s Ersatz: Zehn Besucherplätze, dazu soll die Brachfläche gegenüber ausgebaut werden, nochmal 45 Plätze. Wobei ältere Menschen ihr Auto ohnehin eher abgäben. All dies, wundert sich Klumb, habe man mit dem Bauamt doch besprochen. „Da fragt man sich: Wo sind wir eigentlich?“
Zu groß und zu klotzig?
Rot/Grün bleiben hart. Sie hätten nichts gegen die Gemeinde, stellen sie immer wieder klar. Aber sie wollen feste Vorgaben, einschließlich genügend Parkraum. Die Kirche soll ja bauen, aber kleiner. Und überhaupt: Der Investor hätte sich bei den Bürgern nie vorgestellt, sei auf keiner Versammlung erschienen.
Als Kirchenvertreter sei man mit diesen Dingen kaum vertraut, sagt Klumb. Und so habe man, was die Öffentlichkeitsarbeit betrifft, vermutlich Fehler gemacht. Aber die Bebauung verkleinern will und kann er nicht. „Nur wenn in der vorliegenden Form geplant wird, steht am Ende eine schwarze Null.“ Sonst sieht er keinen Weg, Kosten zu drosseln. Es sei denn, man beschneide Kernaufgaben wie die Jugendarbeit.
Der Architekt wundert sich
Unterdessen sind die Worte „klotzig“ und „zupflastern“ bis nach Leipzig gelangt. „Da werden wir hellhörig. Das verfestigt sich“, ärgert sich Sebastian Schröter. Er ist Architekt des Wohnparks und wundert sich. Der dörfliche Charakter habe bei Absprachen mit dem Bauamt sehr wohl eine Rolle gespielt, „die wissen um ihre Verantwortung: Baerl ist besonders.“ Er habe einen Anger entworfen, einen Dorfplatz. Zeichnungen zeigen schlichte, flache Gebäude, durch die sich Grün- und Aufenthaltsflächen ziehen. Schröter gefällt die Idee der gemischten Wohnanlage. „Wenn ein Mann pflegebedürftig wird, kann seine Frau weiterhin selbstständig bei ihm leben.“
Schröter ist Architekt, kein Politiker. Er hält sich heraus. Aber etwas sagt er dann doch. „Seniorenwohnen, Generationenwohnen, das sind die sozialen Themen der Zukunft. Ich verstehe nicht, weshalb gerade die örtliche SPD das Projekt nicht gut findet.“