Rheinhausen. Reingehört: Ein Pianist im freien Fall und ein staunendes Publikum. Holger Mantey zerlegt etablierte Werke und macht daraus seine eigene Kunst.

„Es gibt so Wetter, da könnte man alles andere machen, aber nicht zu einem Konzert gehen“, sagte der evangelische Kantor Jürgen Kuns. Tja, bei mehr als 30 Grad am Sonntagabend in der Christuskirche an der Friedensstraße fanden sich gerade 30 Zuschauer ein, um den aus Lübeck angereisten Pianisten, Percussionisten und Keyboarder Holger Mantey zu sehen.

Schon in der Programmankündigung sind „Turbulenzen garantiert“, denn der Pianist aus der Hansestadt hat wohl seinen eigenen musikalischen Kosmos im Kopf. Den zeigt er schon in der Eigenkomposition „Balance“, hier wird eine fast poppige Neo-Romantik geschaffen, die aber rhythmisch mit Triplern durchsetzt ist, über die Akkordfolgen seines E-Pianos vor dem Altar. „Viele Lieder komponiere ich durch die Eindrücke, die ich auf Reisen sammle“, so Mantey. Bei dieser Komposition saß er wohl gerade am Meer, wie er dem Publikum erklärt.

Fließende Trillerbögen und freie Improvisationen

Doch Mantey befände sich nicht im Programm „Freiflug“, würde er nicht etablierte Orgelwerke komplett zerlegen. Johann Sebastian Bachs „Toccata in d-moll“ benutzt der Pianist dazu. Anfangs wirkt das Stück wie eine schmissige Jazznummer, am Ende könnten die Zuschauer Charleston dazu tanzen. So locker geht Mantey mit Bachs scheinbar starrer Vorgabe um und schafft eine komplett neue Rhythmik.

430 Folgen der Western-Erfolgsserie „Bonanza“ erzählt Mantey mal eben in fünf Minuten – allerdings ohne näher auf den Koch „Hop Sing“ einzugehen. Mit Eigensamples, die er live einspielt, lässt er angefangen vom Windrad und dem morgens krähenden Hahn eine komplette „Bonanza-Farm-Atmosphäre“ entstehen, stammelt dazu Unverständliches ins Mikrofon – ja, Ben Cartwright muss halt viel arbeiten auf der Ranch - und lässt mit den berühmten Akkorden der Fernsehmelodie die Erinnerung an so manche Kindheit schnurstracks verebben. Wohlfühlatmosphäre für den Sonntagabend kommt beim Publikum nicht wirklich auf, denn auch aus der Etüde op. 25 No. 2,von Chopin, macht Mantey eine Impro-Ethno-Jazz-Nummer, die fließende Trillerbögen enthält und in ihrer freien Improvisation wohl auch gut auf dem „Moers-Festival“ aufgehoben wäre.

„Wenn Sie keine Lust auf lästige Fingerübungen am Klavier haben, bauen Sie einfach ein Akkordbrett“, empfiehlt der versierte Tastenmann schließlich. Das Publikum erstarrt im Respekt, vor dem, der es selbst gemacht hat, als Mantey quasi ansatzlos Maurice Ravels „Bolero“ mit diesen Akkordbrettern „Marke Eigenbau“ in die Tasten haut. Zum Schluss spielt er eine Eigenkomposition „Pekido“ und fragt sich noch heute, was diese japanische Floskel wohl übersetzt heißen möge.