Homberg.. Gelungener Theaterabend in der Kneipe: Wolfgang Borcherts berühmte Kurzgeschichte beeindruckend gespielt zwischen Theke und Toilettentür.
Gewehrkugelhagel, wirre Schreie dringen durch das Halbdunkel in der Hochheider Kneipe „Zum Laternchen“. Über einen mobilen Videoprompter werden Szenen wirr aus alten Wochenschau-Berichten beliebig an die Wand, Decke oder Klotür des Lokals geworfen. Harter Tobak für etwa 50 Zuschauer: Es ist wie im Krieg. Ein hetzender Goebbels zeigt seine Fratze in die Kamera, Kinder und alte Männer sitzen in den Trümmern des ausgebombten Berlins.
Das ist genau die Szenerie, die der Nachkriegsschriftsteller Wolfgang Borchert für seine wohl bekannteste Kurzgeschichte „Nachts schlafen die Ratten doch“ gewählt hat. Ein Junge, der im Zweiten Weltkrieg seine Familie verlor und jetzt auf den Trümmern der ehemaligen Wohnung sitzt. Er will die Ratten nachts vertreiben, damit diese nicht an seinem darunter verschütteten kleinen Bruder nagen. Ein alter Mann versucht ihn zum Loslassen vom Trauma zu bewegen, eben mit der Begründung: „Nachts schlafen die Ratten doch“, die er geschickt als Notlüge verpackt.
Die vier Hobbyschauspieler Ulrich Ehrentraut, Norbert Gatz, Matthias Clesienne und Andrea Thurow haben den Jungen aus der Sicht seines Lehrers, des altern Mannes oder einer Nachbarin beleuchtet in ihrem selbst inszenierten Werk „Wahrheit und Lüge“ - frei nach Borchert. „Der Junge existiert nur in unserer Erinnerung, so haben wir uns ihm angenähert“, erklärt Ulrich Ehrentraut. „Außerdem widmen wir uns dem Thema Fake-News, was in diesen Zeiten wieder sehr aktuell ist.“
Düstere Cello-Begleitung
So wird die Notlüge des alten Mannes, die ja eigentlich eine Hoffnung spendende Funktion in der Kurzgeschichte hat, von den Schauspielern kritisch hinterfragt. Und welche Auswirkungen Lügen im Leben und in der Politik auf das gesellschaftliche Miteinander oder Krieg und Frieden heutzutage haben, beleuchten die Schauspieler geschickt. Irgendwann hört man wie aus einem kratzenden Röhrenradio Originalzitate tönen: Von US-Präsident Trump, als er erklärt, eine Mauer vor Mexiko zu bauen. Oder wie Uwe Barschel sein „Ehrenwort“ gibt. Oder von Helmut Kohl, der seine Spender in der Spendenaffäre nicht nennen will.
Die nach Wolfgang Borchert inszenierte Version „Wahrheit und Lüge“ nimmt fast Züge von epischem Theater an, in dem sich die Zuschauer immer wieder selbst auf ihren Umgang mit Unwahrheiten und Fake-News prüfen müssen. Dazwischen schreit ein Mann: „Was hat denn noch einen Wert?“ Und der Zuschauer befindet sich halb in der Erzählung, aber auch halb im Jetzt. Beklemmende Cello-Musik, gespielt von Patrick Janssen-Booms, verdichtet die düstere Atmosphäre des Stückes.
Wieder einmal haben sich die Hobbyschauspieler, die zusammen in der Laientheatertruppe Konfetti 97 in der Hochheider Liebfrauengemeinde aktiv sind, beeindruckend einem ernsten Thema gewidmet. Wie schon vor zwei Jahren, als sie eine Erwachsenen-Version des Grimmschen Märchens „Der Fischer und seine Frau“ ablieferten, machten sie Kneipentheater mit ernstem Hintergrund - bei dem keiner der Gäste einen Mucks zu sagen wagte.