Duisburg. 165 Tage lang kämpften Krupp-Stahlarbeiter gegen die Schließung des Werks in Duisburg-Rheinhausen. Ein ehemaliger Betriebsrat erinnert sich.
Krupp-Stahlarbeiter kämpften 165 Tage um ihr Werk - es war der längste und härteste Arbeitskampf in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands. Erinnerungen von Theo Steegmann, Krupp-Betriebsrat von 1981 bis 1993.
Der 61-Jährige sagt zur Vorgeschichte des Krupp-Arbeitskampfes 1987/88: „Es wird immer nur die große Explosion 1987 in Rheinhausen gesehen. Aber um das wirklich zu verstehen, muss man die jahrelange Stahlkrise davor sehen. Sechs privatwirtschaftlich gegeneinander arbeitende Unternehmen, allen voran Thyssen. In den Städten des Ruhrgebiets gab es damals im Schnitt mehr als 17 Prozent Arbeitslosigkeit. Jeder weitere Arbeitsplatzabbau wurde sehr kritisch betrachtet. Der Strukturwandel war im vollen Gange. Von daher war damals schon ein Riesendruck im Kessel, dass da irgendetwas passieren musste. 1987 wurde bei Krupp in Rheinhausen ein neuer Betriebsrat gewählt mit jungen Leuten. Die Ankündigung, das Rheinhauser Werk zu schließen, war dann der Funke, der dieses explosive Gemisch entzündete...“
Ein emotionales Jahresende
26. November: Im Wirtschaftsauschuss von Krupp dementieren Vertreter der Krupp- Stahl AG gegenüber Betriebsräten nicht, dass der Konzern das Stahlwerk in Rheinhausen mit damals noch rund 6300 Beschäftigten schließen will. Am Abend geben Dr. Gerhard Cromme (Krupp-Stahl) und Heinz Kriwet (Thyssen-Stahl) auf einer Pressekonferenz im Düsseldorfer Hilton-Hotel die Schließung des Stahlwerks in Rheinhausen bekannt.
„Das war für uns die absolute Provokation und ein Angriff auf die Mitbestimmung, weil wir mit den Stahl-Unternehmen erst Monate zuvor ein Optimierungskonzept für das Rheinhauser Werk ausgehandelt hatten. 2000 Arbeitsplätze sollten sozialverträglich abgebaut werden. Dafür sollte das Werk, der Standort Rheinhausen, erhalten bleiben. Cromme hätte damals auch das Profilwalzwerk in Siegen schließen können.“
27. November: Es kommt zu ersten Arbeitsniederlegungen im Werk Rheinhausen. Rund 3000 Stahlkocher ziehen vor die Hauptverwaltung des Werks in Friemersheim, wo Cromme die Schließung noch einmal verkündet. Er wird ausgebuht, ausgepfiffen und mit Eiern beworfen.
Am Abend solidarisiert sich das Bürgerkomitee Rheinhausen auf einer Versammlung im Friemersheimer Clarenbachhaus mit den Arbeitern. „Uns war klar: Dieser Kampf wird lange dauern. Es wurde ein politischer Kampf nicht nur um das Werk, sondern um die gesamte Region. Wir waren selbstbewusst und kampferprobt. Auf der Versammlung habe ich Cromme zugerufen: ,An diesem Brocken werden Sie sich verschlucken’.“
30. November: Bei einer außerordentlichen Belegschaftsversammlung im alten Walzwerk protestieren 10.000 Bürger und Stahlkocher gegen die drohende Schließung. Wieder fliegen Eier und Orangen. „Cromme ist gekommen, obwohl wir ihm keine Sicherheitsgarantien geben konnten.“
2. Dezember: Tausende Rheinhauser Stahlarbeiter blockieren die Rheinbrücke nach Hochfeld. Um daran zu erinnern, wird die Rheinquerung im Februar 1988 in „Brücke der Solidarität“ umbenannt. - „Die Idee zur Umbenennung lag in der Luft.“
3. Dezember: 12.000 Schüler solidarisieren sich auf dem Hochemmericher Markt mit den Stahlarbeitern und demonstrieren für den Erhalt des Krupp-Werks. Die Fraueninitiative Krupp-Stahl gründet sich mit 500 Mitgliedern. „Ich habe eine kurze Rede gehalten. Die Stimmung war bombastisch. Die Kundgebung hat uns viel Sympathie gebracht, weil die Leute gemerkt haben: Es geht den Kruppianern auch um die Zukunft der Jugend.“
4. Dezember: Aktion „Schichtwechsel“ vor den Eingängen der Duisburger Stahlwerke. In Rheinhausen gründet sich der Radiosender „Offener Kanal“.
3.500 Rheinhauser Stahlarbeiter im Warnstreik
7. Dezember: Hunderte Rheinhauser Stahlarbeiter besuchen die Aufsichtsratssitzung der Krupp-Stahl AG in Bochum. 3.500 Kollegen in Rheinhausen sind im Warnstreik. „Wir fuhren mit etwa zwölf Bussen nach Bochum. Die Kollegen haben die Sitzung gestürmt, sind in den Saal ‘rein. Viel gebracht hat diese Aktion nicht. Diese Aktionsform begann, sich zu erschöpfen. Daher entwickelte der Betriebsrat die Strategie, gegen die Stilllegungspläne mehrere Gutachten aus Branchen-, betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht zu erstellen. Wir wollten mit den IG Metall-Kollegen der anderen Standorte eine nationale Lösung für die Stahlbranche.“
9. Dezember: Auf Initiative von ÖTV-Chefin Monika Wulf-Mathies demonstrieren rund 15.000 Bedienstete der Stadt Duisburg und vom ganzen Niederrhein in Rheinhausen für die Arbeitnehmer des Krupp-Werks vor dem Gebäude des Betriebsrats. Rund 3000 Rheinhauser Stahlarbeiter protestieren vor der Zentrale der Krupp-Stahl AG in Essen. Danach stürmen sie die Villa Hügel, wo der Aufsichtsrat tagt. „Bei der Stürmung war ich nicht dabei. Ich hatte Bürodienst. Man konnte nicht bei allen Aktionen dabei sein. Wir hatten eine Arbeitsteilung. Die Stürmung war nicht geplant. Ich fand, das war eine tolle Aktion. Die Kollegen hatten Spaß, als sie zurückkamen.“
10. Dezember: Rund 100.000 Menschen beteiligen sich am Stahlaktionstag im Ruhrgebiet unter dem Motto: „Alle Räder stehen still ...“.
16. Dezember: Solidaritätskonzert mit dem Liedermacher Hannes Wader in der Menage. „Dort traten einige Liedermacher wie Fasia oder Klaus Lage auf. Die Veranstaltungen waren gut besucht, immer mit 600 bis 800 Kollegen und Bürgern.“
18. Dezember: Solidaritätstag des DGB, nachmittags Kundgebung der Gewerkschaft in der Rheinhauser Menage, Fackelzug durch Rheinhausen, abends ökumenischer Gottesdienst unter dem Motto „Brot und Rosen“ im Walzwerk mit rund 25.000 Besuchern. „Der Fackelzug war eine Reaktion auf die Kritik von Krupp-Stahl-Chef Wilhelm Scheider in einem Interview an den Produktionsausfälle in Rheinhausen. Die Botschaft war: Wir lassen uns nicht unter Druck setzen, wir stehen zusammen.“
24. Dezember: Am Heiligabend feiern bis zu 3000 Stahlarbeiter und ihre Familien eine Christmette vor Tor 1. Der Gottesdienst wird im Fernsehen bundesweit übertragen. „Das war wichtig, weil wir befürchteten, dass uns über die Feiertage die Motivation einknickt. Dieser Gottesdienst mit Posaunen und Chor war sehr intensiv. Er hat die Menschen emotional gestärkt.“
31. Dezember: Silvesterfeier vor Tor 1 an der Mahnwache „Da musste ich auftanken und reflektieren, wie viele Kollegen auch. Da habe ich lieber einmal zu Hause gefeiert. Ich brauchte Zeit, um über das weitere Vorgehen nachzudenken.“ In einer der kommenden Ausgaben schaut Steegmann auf 1988, ein nicht weniger einscheidendes Jahr für Rheinhausen.