Duisburg-Rheinhausen. In den W8zig-Gruppen an der Geitlingstraße entstehen Dekoartikel und Kunst. Psychisch erkrankte Menschen kommen hier wieder auf die Beine.

Siegmar Stas ist in seinem Element. Noch ein paar Teile müssen befestigt werden – dann ist es fertig, sein neues Kunstobjekt. Funken fliegen, Stas klappt die Schweißermaske hoch, schaut nochmal genau hin: Alles klar, so kann er bleiben. Der Storch darf raus auf die Wiese.

In der Rheinhauser W8zig-Metallwerkstatt kann man die Konzentration förmlich knistern hören. Siegmar Stas steht inmitten von Material, das seine Kollegen auf Schrottplätzen gesammelt haben; Blechreste etwa, ausgedientes Werkzeug wie Sägen und Feilen oder aber Unterlegscheiben, die bei ihm zu Vogelaugen werden. Der gelernte Industrieschlosser nimmt die Ankömmlinge kaum wahr, so vertieft ist er.

Gruppenleiter Henrik Lütkenhaus hat zwei Caritas-Kolleginnen mitgebracht. Normalerweise arbeiten Andrea Emde und Dörthe Kosterski im Verwaltungsbereich - nun wollten sie ihn nochmal live erleben, den Schöpfer der lockerleichten, tollkühnen Vogelwelt, die den Garten der Werkstatträume sozusagen im Flug erobert hat. Grimmige Geier mit Hakennase, würdevolle Strauße, langbeinige Fischreiher und echte Paradiesvögel, elegant und wunderschön. Sie werden auf Bestellung aus Metallschrott gefertigt und haben sich längst zum Verkaufsschlager für Parks und Grünflächen der Region gemausert. Markenzeichen: knallrote Krallen aus alten Kranhaken.

Aus der Felge wird ein Windrad

Kunst ist das, Recycling - und obendrein ein funktionierendes Sozialprojekt. 26 Menschen mit psychischen Erkrankungen kommen in den W8zig-Räumen an der Geitlingstraße wieder auf die Beine, 17 arbeiten in Lütkenhaus’ Metallgruppe. Vor einiger Zeit entstand als zweiter kreativer Bereich eine Glaswerkstatt gleich neben einem hellen, geräumigen Ladenlokal, in dem das Kunsthandwerk aus den Caritas-Arbeitsgruppen verkauft wird, Auftragsarbeiten und freie Projekte.

Wer durch das Haus geht, erlebt überall schöpferische Leichtigkeit. Gerade hat man die Vogelparade im Garten hinter dem Haus verlassen, steht man unter einem großen Windrad, gefertigt aus einer VW-Felge. Ein tolles Gerät, einmalig. „Das dreht sich seit einem Jahr“, sagt Lütkenhaus. „Die Felge war der einzige runde Gegenstand, den wir damals auftreiben konnten.“

Genesung durch Erfolgserlebnisse

Daneben ziehen eine Eule aus einem Auspufftopf und ein putziger Holz-Engel die Aufmerksamkeit auf sich - wenig weiter: Feuerschalen und wuchtige Pflanzkübel aus Stahl. Kürzlich entstanden fünf Metallskulpturen für ein Duisburger Seniorenheim. Auch andere Einrichtungen freuen sich über Kunstwerke made in Rheinhausen.


Gruppenleiter Henrik Lütkenhaus. 17 Männer und Frauen arbeiten im Bereich Metall.
Gruppenleiter Henrik Lütkenhaus. 17 Männer und Frauen arbeiten im Bereich Metall. © Tanja Pickartz

Die W8zig-Werkstätten sind ein Schmelztiegel des Lebens. Die Menschen, die hier arbeiten, kommen aus allen denkbaren Berufsgruppen und Schichten, erzählt Lütkenhaus. Sie leiden unter seelischen oder psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Burnout oder Angstzuständen. Lütkenhaus spricht von einer „totalen Überlastung am Leben“, die sich in diesen Räumen niederschlägt. „So etwas kann Menschen komplett lahmlegen.“ Bei W8zig erhalten sie die Möglichkeit, wieder an Arbeitsprozessen teilzunehmen und bauen dadurch wieder Selbstbewusstsein und Sicherheit auf. Der Erfolg, den sie erleben, wirkt besser als alle Medikamente der Welt.

Bunte Blumen aus der Glaswerkstatt

In der Glaswerkstatt steht die Luft. Es ist warm neben den Schmelz- und Trockenöfen. An langen Tischen werkeln die Glaskünstler mit ihren Farben, die Türen zum Ladenlokal stehen weit auf: Reinschauen ist erwünscht! Das Interesse ist riesig. Regelmäßig finden Kreativwerkstätten statt, zu denen Hobbybastler oder ganze Kindergartengruppen kommen.

Es herrscht eine vertraute, familiäre Atmosphäre, gepaart mit emsiger Betriebsamkeit: Allein im vergangenen November entstanden hundert vorweihnachtliche Sternensets - im Juni waren es 92 der berühmten W8zig-Glasblumen. Die Dekoartikel sind begehrt bis über die Grenzen Rheinhausens hinaus, erlebt Andrea Emde, die die Führung übernommen hat. Gartencenter in ganz Deutschland werden mit Exemplaren beliefert.

Wir sind jetzt im Ladenlokal angekommen, in dem es alles mögliche Kunsthandwerk zu kaufen gibt, darunter selbst gefertigte Yoga-Kissen oder handgemachter Schmuck. Auch hier arbeiten W8zig-Beschäftigte. Neulich, berichtet Emde, hat ihr ein Mitarbeiter ruckzuck eine Glasblume verkauft. Schlagendes Argument: „Also, die passt wunderbar zu Ihren Augen.“

Kreativität ist auch ein Wagnis

Am Ende nochmal zurück in die Metallwerkstatt, zu Siegmar Stas, dem Kunden eine „ausdrucksstarke minimalistische Handschrift“ attestieren. Der ehemalige Thyssen-Schweißer ist jetzt seit vier Jahren bei W8zig beschäftigt. Der Weg in die Kunst, betont sein Gruppenleiter Lütkenhaus, ist etwas ganz Besonderes. „Man muss erstmal lernen, Kreativität zuzulassen. Planung bietet Sicherheit. Freies Arbeiten birgt die Gefahr des Scheiterns.“ Für Stas ist das kein Thema mehr. Er hat schon den nächsten Entwurf im Sinn. Mal gucken, was der Fundus hergibt.

>>>>>Kontakt zu den Werkstätten<<<<<

Die W8zig, eine Zweigstelle der Caritas Werkstätten Niederrhein, bietet Tätigkeiten in den Bereichen Metall, Verpackung, Montage, Textil, Elektro, Versand, Lager und Landschaftspflege. Außerdem werden kunsthandwerkliche Produkte aus Metall und Glas vertrieben. Es gibt Niederlassungen in Rheinberg und Rheinhausen

Der W8zig-Laden liegt an der Geitlingstraße 2-6 in 47228 Duisburg-Rheinhausen. Öffnungszeiten sind montags bis donnerstags von 8 bis 16 und freitags von 8 bis 14.30 Uhr. Kontakt: 02065 9977-432, E-Mail-Adresse: derladen@cwwn.de