Duisburg-Rheinhausen. . Das Projekt „Con Ami“ hilft jungen Flüchtlingen dabei, die schlimmen Erlebnisse zu verarbeiten, die aus den Kriegs- und Krisenländern mitreisen.

Manchmal ist Gepäck unsichtbar. Als Baraa Al Jamaili im September 2015 mit nicht viel mehr als ihrem kleinen Bruder an der Hand in der Baerler Flüchtlingsunterkunft an der Voßbuschstraße ankam, da lastete ein bleischwerer Koffer voller furchtbarer Erlebnisse auf der Seele der damals 19-Jährigen.

So vieles davon war anfangs nicht nur wegen der fremden Sprache unaussprechbar für das Mädchen und den elf Jahre alten Bruder, die von den Eltern aus Bagdad mit viel Geld aus dem Land gebracht worden waren. Weil sie das Haus nicht mehr verlassen konnten wegen der Heckenschützen. Weil an Baraas Uni Sprengstoff in der Cafeteria explodierte, in der auch die Informatikstudentin oft war. Weil die Mutter schon zweimal von einer Autobombe schwer verletzt worden war und ihre Kinder in Sicherheit bringen wollte.

Jungen Flüchtlingen bei der Bewältigung ihrer Erinnerung helfen

Was für ein Glück, dass Baraa Al Jamaili in Rheinhausen auf Menschen stieß, die von ihrem belastenden Gepäck wussten. Und die ihr dabei helfen konnten, vielen Sachen aus dem schweren Koffer der Erinnerungen die Freiheit zu schenken. Die beiden Therapeutinnen Mariel Pauls-Reize und Christiane Honig stehen hinter dem Projekt „Con Ami“, das unter dem Dach der Gruppe Young Supporters jungen Flüchtlingen bei der Krisen- und Trauerbewältigung hilft. Und zwar so früh wie möglich, bevor sich die Vergangenheit als schweres Trauma festsetzen kann. „Wir warten nicht, bis die Leute Deutsch können oder krank werden. Wir suchen in den Flüchtlingsunterkünften Kontakt zu ihnen und fangen sofort mit der Arbeit an“, sagt Christiane Honig, die auf diesem Wege vor zwei Jahren auch Baraa kennengelernt hat.

Einmal pro Woche trafen sie sich, um die traumatischen Erlebnisse der jungen Frau aufzuarbeiten. Anfangs mit Dolmetscher, auf den sie aber sehr schnell verzichten konnten. Denn Baraa lernte die neue Sprache mit so viel Hingabe, dass sie sich ganz schnell alleine verständigen konnte. Sie erzählte der Therapeutin von der Flucht, die schief lief, weil es Streit unter den Schleppern gab. „Wir wurden in einer Hütte eingesperrt, acht Stunden ohne Essen und Toilette. Ich habe versucht, da rauszukommen“, erinnert sich die 21-Jährige. Sie wurden mit Messern bedroht, sahen unfassbare Dinge und konnten am Ende gemeinsam mit anderen Flüchtlingen weglaufen.

Ein Platz am Berufskolleg

„Wir beachten bei der Integration die Vergangenheit viel zu wenig“, beschreibt Mariel Pauls-Reize eine Facette der Flüchtlingsproblematik, die die „Young Supporters“ im Duisburger Westen zur Sprache gebracht haben. 2013 hatte sich der Verein gegründet, um Trauerarbeit für Kinder und Jugendliche anzubieten, die mit Tod oder schwerer Krankheit in ihrer Familie konfrontiert sind. „Dann begann die Flüchtlingswelle“, so die Familientherapeutin und Trauerbegleiterin. „Da haben wir uns gedacht, wenn jemand trauert, dann doch wohl diese Menschen.“ Und so entstand „Con Ami“, das Projekt zur Krisen- und Trauerbewältigung für Flüchtlinge, das von der Aktion Mensch und dem Integrationsprogramm „Komm-an“ unterstützt wird.

Neben den Einzelgesprächen hilft Con Ami in einem achtwöchigen Kurs, die Türe zur Trauerbewältigung zu öffnen. Schwer bepackt mit Taschen voller kreativem Arbeitsmaterial gehen die Therapeutinnen einmal wöchentlich für je zwei Stunden in Einrichtungen wie Schulen oder Bürgerhäuser, um dort mit Flüchtlingen zu arbeiten. Neben farbenfrohen Stiften gehören Teelichter zu den wichtigsten Utensilien. Angezündet werden sie in Situationen wie diesen: Auf die Frage, wen er zuhause zurücklassen musste, antwortete ein Junge, dass er seinen Freund vermisst, der von einer Autobombe getötet wurde. „Da haben wir alle die Luft angehalten“, sagt Christiane Honig. Für die Toten werden dann gemeinsam Kerzen angezündet. „Man sieht das den Kindern nicht an, aber Sie glauben gar nicht, wie schnell plötzlich mehr als zehn Kerzen brennen. Die Toten reisen im Gepäck der Familien mit.“

Teelichter gehören zu den wichtigsten Utensilien. Sie werden für die Toten in der Heimat angezündet.
Teelichter gehören zu den wichtigsten Utensilien. Sie werden für die Toten in der Heimat angezündet. © Tanja Pickartz

Baraa Al Jamaili ist mittlerweile dabei, wenn Mariel Pauls-Reize und Christiane Honig mit den Flüchtlingen arbeiten. Ein Glücksfall! Ehrenamtlich unterstützt die 21-Jährige das Projekt und ist eine große Hilfe, weil sie nicht nur sprachliche, sondern auch emotionale Barrieren abbauen kann.

Im Katholischen Bildungsforum an der Händelstaße hat das Projekt der Young Supporters eine Heimat gefunden. Es gibt einen eigenen Raum im Obergeschoss, in dem sich die jungen Flüchtlinge alle zwei Wochen gemeinsam mit den Therapeutinnen zum Austausch treffen können. Dabei kommen auch die Sorgen zur Sprache, die der Alltag in der neuen Lebenssituation mit sich bringt. Baraa zum Beispiel weiß nicht, ob sie in Deutschland bleiben darf. „Man hat mir gesagt, dass Bagdad sicher ist.“

Bagdad, ihre Heimatstadt, in der die Mutter so schwer verletzt wurde und ein Freund durch die Bombe an der Cafeteria starb. „Das war meine Uni, das hätte auch ich sein können.“ Der Anwalt hat Klage eingereicht, die Eltern im Irak hoffen, dass ihre Kinder in Sicherheit bleiben können und Baraa blickt nach vorne. Sie hat sich am Berufskolleg in Krefeld beworben und dort kürzlich einen Platz bekommen. Nun kann sie mit finanzieller Unterstützung aus der Ferne von ihren Eltern das deutsche Abitur machen. Danach möchte sie eine Arbeit finden, am liebsten würde sie Erzieherin werden.