Duisburg. Fans bejubeln Sebastian Menzen aus Homberg als Bierhannes, einen obdachlosen Alkoholiker. Er ist der Wrestling-Champion der Duisburg Dockers.
Er ist obdachlos, alkoholkrank, schläft unter Brücken und ist stolz darauf. Obendrein ist er ein pöbelnder Schnorrer, der schnell zuschlägt. Und für all das lieben ihn seine Fans. Bierhannes ist der amtierende Wrestling-Champion der Duisburg Dockers.
Der Homberger Sebastian Menzen verkörpert diese Kunstfigur seit 2009 im Ring. Dabei hat er ihn nur aus der Not erschaffen. Damals gehörte er zu den Wrestlern des Homberger Turnvereins, bei denen er den Sport erlernte. Eines späten Samstagabend erfuhr er, dass sein Teampartner für die Show am nächsten Tag ausfallen würde. Solo konnte er in seiner gewohnten Ringidentität aber nicht antreten. Die rettende Inspiration lieferte sein Kleiderschrank: „Ich hatte noch einen alten Anorak, eine alte Hose und ein altes T-Shirt“, sagt der 33-Jährige und lacht. Bierhannes war geboren – und sollte eigentlich nur einen Abend leben. Die Reaktionen des Publikums haben dies jedoch verhindert.
In Menzens Vorstellung war die Figur ein Fiesling, der unfaire Tricks anwendet und den die Zuschauer hassen sollten. Der Plan ging nicht auf. „Egal was ich gemacht habe, die Leute haben es gefeiert.“ Dabei legte sich der Homberger ziemlich ins Zeug. „Ich habe vor dem Auftritt sogar mit Asbach Uralt und Sambuca gegurgelt.“ Dabei trinkt er privat gar keinen Alkohol. Doch beim aggressiven Schnorren sollte der Obdachlose widerwärtig stinken.
Schnelligkeit statt pralle Muskeln
Dennoch nimmt ihm den Bösewicht keiner ab. Dass Bierhannes mit Fluppe zum Kampf kommt, macht ihn für seine Anhänger zum Rebell. Gegnern, die über Schwächere oder über Duisburg herziehen, tritt er ins Gesicht oder verkloppt sie mit einem Klappstuhl. So wurde er zum umjubelten Held des kleinen Mannes. Umso mehr, wenn er arroganten Bonzen eine Abreibung verpasst. Menzen hat aber kein breites Kreuz und keine großen Oberarme, bei 1,85 Meter Körpergröße wiegt er gerade mal 70 Kilos und wirkt wie ein Hänfling. Doch in seiner Rolle bezwingt er weitaus wuchtigere Gegner mit Schnelligkeit und Köpfchen.
Dass Menzen bei den Zuschauern auch ohne pralle Muskeln gut ankommt, freut ihn. Denn ihn selbst haben schon seit seiner Kindheit die leichten, schnellen Techniker beim Wrestling fasziniert. Für Kraftpakete wie den Ultimate Warrior oder Hulk Hogan hatte er nie viel übrig. Seit er 1992, mit acht Jahren, sein erstes Wrestlingmatch im Fernsehen sah, Bret Hart trat gegen Shawn Michaels an, mochte er die schnellen Athleten. Sie stellten sich mutig körperlich überlegenen Gegnern. Besonders der 1-2-3-Kid hatte es ihm angetan. „Damals habe ich natürlich noch gedacht, dass alles echt ist.“ Heute weiß er es besser.
Der Ausgang der Kämpfe ist vorher abgesprochen. Bloßes Schauspiel ist es dennoch nicht. „Vieles ist Show, aber wenn ich zwei Meter auf den Ringboden falle, dann falle ich zwei Meter.“ So gehören Prellungen, blaue Flecken und Striemen dazu. Im Vergleich zu seinen früheren Sportarten Fußball, Basketball und Badminton sei das Verletzungsrisiko aber sehr gering. „Wir arbeiten nicht gegeneinander, sondern miteinander.“ So ist auch der Dockers Champion nicht der beste Sportler, sondern der Wrestler, von dem die Abteilung glaubt, dass er sie am besten repräsentieren kann. Er wird der Hauptdarsteller zahlreicher Fehden, Gut gegen Böse.
Kinder rufen seinen Namen
Seine Freundin kommt trotzdem nicht mehr zu seinen Kämpfen. Er nimmt es aber sportlich, als Beweis, dass er Schmerzen realistisch darstellen kann. Dagegen ist seine Überraschung nicht gespielt, wenn er außerhalb Duisburger Sporthallen als Bierhannes erkannt wird. „Darüber bin ich immer noch baff.“ Kinder rufen seinen Namen, wenn sie ihn etwa im China-Restaurant am Buffet sehen oder andere Fans machen Fotos mit ihm im MSV-Stadion und verbreiten sie stolz auf Facebook.
„Dass ich Wrestler bin, glauben die meisten mir aber erst gar nicht“, sagt Sebastian Menzen, der als Fachmann für Schutz und Sicherheit arbeitet. „Eben, weil die meisten denken, dass man dafür ein Muskelprotz sein muss.“ Jetzt hat er ja den Champion-Gürtel, um das Gegenteil zu beweisen. Ob die Leute ihm wohl glauben, dass er als obdachloser Alkoholiker namens Bierhannes der Titelträger ist?
>> DER NACHWUCHSARBEIT VERPFLICHTET
Sebastian Menzen schlüpft bei den Duisburg Dockers gleich in zwei neue Rollen, auf die er sich aber gleichermaßen freut. Neuerdings ist er Co-Trainer neben Abteilungsleiter Daniel Böx. Zudem ist es erstmals Mentor für eine Nachwuchswrestlerin.
Als gelernter Erzieher mit Übungsleiterschein möchte sich der 33-Jährige besonders um Jugendliche kümmern und sie in sein Hobby richtig einführen. Sie sollen nicht wie er früher mit Klassenkameraden Wrestlinggriffe sorglos auf alten Matratzen nachmachen oder Sprünge, die sie aus dem Fernsehen kennen.
Seine bislang größte Herausforderung ist es, Mentor für eine 16-Jährige zu sein
Gerade für Teenager, findet der neue Co-Trainer, seien die Dockers gut geeignet: „Die Atmosphäre in unserem Verein ist sehr familiär, und Wrestling stärkt das Selbstvertrauen.“ Denn die Sportler schlüpfen vor Zuschauern in fremde Rollen und können auf Wunsch ihre Identität sogar unter einer Maske verbergen. So würden sich gerade schüchterne Jugendliche im Ring viel mehr trauen als im Alltag.
Menzens bislang größte Herausforderung ist es jedoch, der Mentor für die 16-jährige Hannah Orth zu sein. Nach monatelangem Training hatte sie im September ihr Ringdebüt und unterstützte Bierhannes gegen seine Gegner. Seitdem begleitet sie ihn unter ihrem Wrestlingnamen Luna. Dabei möchte die zierliche und flinke Gymnasiastin aus Großenbaum gar keinen Fiesling darstellen, anders als Sebastian Menzen. Dennoch funktioniere die Teamarbeit, auch dank vieler gemeinsamer Trainingseinheiten, sehr gut.
Altersunterschiede sind unwichtig
„Ich finde es richtig cool, dass ich die Begleiterin von Bierhannes bin“, sagt Hannah. „Er ist bei den Fans sehr beliebt, das ist für mich eine gute Grundlage.“ Zwar ist ihre Hauptaufgabe als Luna derzeit, die Zuschauer bei Veranstaltungen zu unterhalten und ihrem Mentor Bierhannes den Rücken frei zu halten. Sie soll jedoch aufgebaut werden, um künftig selbst zu Einzelkämpfen antreten zu können.
„Sie macht ihre Sache sehr gut“, lobt Sebastian Menzen und ist überzeugt, dass Hannah bald soweit sein wird, bei einer Show ihren ersten Einzelkampf zu bestreiten.
Doch nicht nur sie, auch andere Jugendliche bei den Duisburg Dockers seien sehr ehrgeizig, lernbegeistert und hochmotiviert, so Co-Trainer Menzen. Dass in der Abteilung Männer mit Frauen sowie Erwachsene mit Jugendlichen zusammen trainieren und auftreten, sei ein Vorteil und stärke den Zusammenhalt der Abteilung. „Altersunterschiede sind bei uns unwichtig. Mich interessiert mehr, was jemand leisten kann und was jemand leisten will.“
>> TITELVERTEIDIGUNG AM 5. MÄRZ IN DUISSERN
Bierhannes verteidigt seinen Titel am Sonntag, 5. März, bei der „Wrestling Dockers Revolution“um 16 Uhr in der Sporthalle an der Duissernstraße 16 in Duissern.
Schnuppertraining für Jugendliche, die Wrestling ausprobieren wollen, ist sonntags (ausgenommen Schulferien und Shows) von 12 bis 17 Uhr in der Sporthalle an der Kampstraße 121 in Obermarxloh möglich.
Weitere Informationen auf www.dockers-wrestling.de