Duisburg-Rheinhausen. . Der Rheinhauser Bergmann, Gewerkschafter und Sozialist Friedrich Lahrmann war Mitglied im Rheinhauser Entnazifizierungskomitee. Von seinem Urteil hing die berufliche Zukunft vieler Bürger in der Stadt ab

Nach dem Zweiten Weltkrieg strömte ein Heer früherer Wehrmachtssoldaten nach Hause. Dazu kamen Millionen Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten nach Westen. Es gab kaum noch staatliche Strukturen, doch ein Neuanfang musste gelingen. Dazu mussten auch geeignete Fachleute gefunden werden, Verwaltungskräfte, Lehrer, Richter, Polizeibeamte, Mediziner und viele mehr. Das sollten nicht ausgerechnet diejenigen werden, die sich im so genannten „Dritten Reich“ schuldig gemacht hatten. Doch mangels Alternativen konnte ein neuer deutscher Staat und dessen Verwaltung, wenn er denn funktionieren wollte, nicht auf alle ehemaligen Anhänger des NS-Regimes, auf alle Parteimitglieder verzichten. Denn der Krieg hatte zu viele Opfer gefordert.

Jury klärte individuelle Schuld ab

Wer also durfte am Neuaufbau teilnehmen? Die individuelle Schuld jedes Einzelnen musste beurteilt werden. Zu diesem Zweck gründeten die Besatzungsmächte, auch regional, „Entnazifizerungskomittees“. Auch in Rheinhausen. Friedrich Lahrmann, ehemaliger Bergmann auf der Rheinhauser Zeche Diergardt-Mevissen, Sozialist und Gewerkschafter, wurde Mitglied des Rheinhauser Komitees.

Enkel Karl-Heinz-Lahrmann (67), ein Diplom-Ingenieur im Ruhestand, der früher in Rheinhausen, heute in Rheurdt wohnt, hat herausgefunden: „Mein Großvater hat, entsprechend den Wünschen der in Rheinhausen stationierten Soldaten der britischen Militärregierung, die Fragebögen frühzeitig ausgefüllt, um als Mitglied des Komitees zugelassen zu werden. Das erste Mal bereits im Juni 1945, kurz nach Kriegsende.“ Weitere Fragebögen folgten im Mai und im September 1946. „Zu diesem Zeitpunkt war mein Opa bereits wieder, wie vor der NS-Herrschaft, gewerkschaftlich und politisch aktiv.“ So war Friedrich Lahrmann bereits seit Kriegsende wieder Betriebsrat auf der Rheinhauser Zeche. „Nach Einreichung des Fragebogens vom 29. Mai 1946 hatten die Prüfstellen der Alliierten wie der Hauptausschuss und der Sicherheitsoffizier „no objections“, also keine Einwände gegen Lahrmanns Bewerbung um die Stelle als Mitglied der Entnazifizierungskomitees Rheinhausen.“

Als Opfer des Systems anerkannt

Diese Mitgliedschaft ist durch seinen Ausweis vom 3. Juni 1947 belegt. In diese Zeit fällt auch seine Anerkennung als „politisch, rassisch und religiös Verfolgter des Nationalsozialismus“, dokumentiert durch die Ausstellung eines entsprechenden Sonderausweises. Wie fast alle diese Dokumente aus der Region trägt der Ausweis die Unterschrift von Andreas Hirschmann, ebenfalls ein ehemaliger Widerstandskämpfer aus Moers. Lahrmanns Enkel berichtet: „Ein zentrales Problem der Entnazifizierung war es, die, die sich schuldig gemacht hatten, von wichtigen Ämtern fernzuhalten, aber auch im juristischen Sinne wo notwendig, ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Das gestaltete sich oft schwierig, da alte NS-Seilschaften teilweise immer noch funktionierten. So sollten bis 1955 zwei Drittel der leitenden Beamten des Bundeskriminalamtes aus ehemaligen SS-Mitgliedern bestanden haben. Große Teile der Bevölkerung sperrten sich gegen jede Form der Aufklärung, schwieg einfach. Der Geist der Demokratie hatte den Ungeist der braunen Herrschaft längst noch nicht verdrängt.“

Lahrmanns Enkel forschte in mehreren Archiven nach, aber bis heute konnte er nicht in Erfahrung bringen, wie viel Entnazifizierungsverfahren es in Rheinhausen gab, wer davon betroffen war und wie das Rheinhauser Komitee, in dem der Großvater mitwirkte, entschied.

„Die meisten Unterlagen zur Entnazifizierung sind nicht mehr vorhanden. Das ist der aktuelle Stand“, stellt Enkel Karl-Heinz Lahrmann nach seinen umfangreichen Recherchen fest. Trotzdem gibt er nicht auf: „Vielleicht wissen ja noch ältere Rheinhauser etwas über die Arbeit der oder des Entnazifizierungskomitees in Rheinhausen oder auch Genaueres über Friedrich Lahrmann.“ In diesem Fall bittet Lahrmann die Leser, sich bei ihm zu melden, 02845/9811044.

Für das verfahren zur Entnazifizierung ab Juli 1945 gab es fünf Kategorien: 1. Hauptschuldige (Kriegsverbrecher). 2. Belastete (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer), 3. Minderbelastete, 4. Mitläufer, 5. Entlastete. In den Westzonen beurteilten die mit Laienrichtern besetzten Spruchkammern über 2,5 Millionen Deutsche bis Ende 1949 so: 54 % waren Mitläufer, bei 34,6 % wurde das Verfahren eingestellt, 0,6 % wurden als NS-Gegner anerkannt, 1,4 % Hauptschuldige, Belastete.