Duisburg-Bergheim. . Historikerin Ingrid Rehwinkel hat eine sehr persönliche Geschichte geschrieben über Verhaftungen, Folter und Morde zur Zeit des Widerstandskämpfers Alfred Hitz, der vor 80 Jahren von den Nazis ermordet wurde.
In einer Gedenkjahr-Serie hatte die Redaktion im vergangenen Jahr mit vielen Geschichten unter anderem an den Ausbruch des 2. Weltkriegs erinnert. Einer der Protagonisten des Widerstands gegen die Nationalsozialisten war Alfred Hitz, Nach dem Bergmann ist heute ein Platz im Herzen Bergheims benannt, dort steht auch ein Gedenkstein. 80 Jahre ist es her, dass Hitz von der Gestapo verhaftet und zu Tode gefoltert wurde. Mit der Geschichte von Alfred Hitz und auch der Geschichte vieler seiner Begleiter hat sich die Rheinhauser Historikerin Ingrid Rehwinkel beschäftigt. Rehwinkel ist im Duisburger Westen keine Unbekannte, sie verfasste unter anderem das Buch zum 50-jährigen Bestehen Rheinhausens im Jahr 1984. Rehwinkel hat eine detaillierte, aber auch sehr persönliche Geschichte geschrieben:
VON INGRID REHWINKEL
Über Alfred Hitz weiß man, dass er nur 27 Jahre alt wurde und gerade geheiratet hatte, als er ermordet wurde. Er war Bergmann auf der Zeche Diergardt-Mevissen und Mitglied der SPD, die 1933 von den Nationalsozialisten verboten wurde. Er war beteiligt am Widerstandskreis rund um die Hamborner Brotfabrik Germania. Deren Brotfahrer verteilten an Verbündete die Schriften der Exil-SPD. Wegen der geringen Auflage, die man auf diese Art zur Verfügung hatte, bildeten sich Lesergruppen. Es trafen sich vier bis fünf Leute, die gemeinsam die Schriften lasen und sie anschließend weitergaben. Am linken Niederrhein war Hermann Runge, ehemaliger SPD-Parteisekretär in Moers, ein führendes Mitglied und der Verbindungsmann zu Alfred Hitz und den anderen Bergheimer Widerständlern.
Runge wurde Anfang Mai 1935 verhaftet. Wenige Tage danach wurde aus Bergheim zunächst Robert Krause verhaftet, kurz darauf Alfred Hitz und Fritz Anlahr. Sie und die anderen später verhafteten Bergleute wohnten überwiegend in der alten Siedlung der Zeche Diergardt-Mevissen: Ritterstraße, Trompeter Straße, Uferstraße.
Schreckliche Folterspuren
Als die Gestapo die Nachricht verbreitete, Alfred Hitz habe sich in seiner Zelle erhängt, glaubten weder seine Familie noch seine Parteifreunde daran. Christine Spanier, seine Witwe, erzählte später, wie Freunde und Verwandte in die Leichenhalle des Trompeter Friedhofs einbrachen, den Sarg öffneten und die schrecklichen Folterspuren sahen, die bewiesen, dass Alfred Hitz grausam ermordet worden war.
Kurz darauf, am 9. Juli 1935, wurden in Bergheim Wilhelm Müller, Max Rybacki, Leo Salewska, Friedrich Simon, Alwin Ginhold, Albert Hummes, Ernst Voss und auch mein Großvater Dietrich Kleuken verhaftet und wie Hitz, Krause und Anlahr nach Duisburg-Hamborn ins Untersuchungsgefängnis gebracht. Gleichzeitig wurde Fritz Matull aus Hochemmerich inhaftiert, der bis 1928 Bergmann gewesen war und zu der Gruppe um Hitz gehörte.
Meine Mutter, damals sieben Jahre alt, erinnerte sich an einen schönen Sommertag, an dem mein Opa mit ihr spazieren ging. Die Gestapo kam ihn abholen mit Hunden und mit schwarzen Lederjacken, wovor sie sich ihr Leben lang fürchtete. Die Polizisten zerschnitten auf der Suche nach versteckten Flugblättern die Daunendecke im Schlafzimmer meiner Großeltern, so dass alles voller Federn war. Und mein Großvater, der sich erbeten hatte, sich noch mal rasieren zu dürfen, schnitt sich vor Aufregung in die Wange, so dass reichlich Blut floss. Auch an die ersten Hiebe, die ihr Vater einstecken musste, erinnerte sich meine Mutter.
Den Verhafteten wurde zusammen mit ungefähr 40 weiteren „Lesern“ der illegalen Schriften der Prozess gemacht. Am 4. August 1936 verkündete das Oberlandesgericht Hamm das Urteil. Es ist in der Gerichtsakte von Ernst Voss im Landesarchiv nachlesbar.
Allen wurde vorgeworfen, sich an der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens beteiligt zu haben, das darin bestand, Schriften der illegalen SPD gelesen zu haben. Einige unter ihnen hatten die Schriften auch weitergegeben oder über einen sehr langen Zeitraum gelesen. Darunter verstand das Gericht wie im Falle meines Großvaters Dietrich Kleuken den Zeitraum von Frühjahr 1934 bis Frühjahr 1935.
Am schwersten wurde Robert Krause bestraft. Er wurde zu zwei Jahren und zehn Monaten Zuchthaus verurteilt. Außerdem wurden ihm wegen seiner „ehrlosen Gesinnung“, wie es in der Urteilsbegründung heißt, für drei Jahre die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. Ihm wurde vorgeworfen, die illegalen Schriften direkt von Hermann Runge und Alfred Hitz bezogen zu haben, sie dann weitergegeben und die Bildung von Leserkreisen angeregt zu haben. Auch Fritz Anlahr musste für zwei Jahre und vier Monate ins Zuchthaus. Die anderen wurden zu Gefängnisstrafen von einem Jahr und zwei bis sechs Monaten verurteilt, die mehr als ein Jahr umfassende Untersuchungshaft wurde angerechnet. Die restliche Haftzeit verbüßten sie im Gefängnis Wuppertal-Elberfeld.
Das banale Vergehen, heimlich verbotene Schriften gelesen zu haben, die selten und mit geringem Umfang zur Verfügung gestanden haben, wurde sehr hart bestraft. Dabei wurde auf die familiäre Situation der Verurteilten keine Rücksicht genommen. So hatte Leo Salewska vier Kinder zwischen fünf und zehn Jahren, Wilhelm Müller sogar acht zwischen zehn und 26 Jahren. Eines der Kinder von Friedrich Simon war gelähmt. Albert Hummes war verwitwet, sein jüngster Sohn gerade elf Jahre alt.
Streit um Entschädigungen
Harte Strafen, Folter und Schläge, lange Untersuchungshaft, schlechte Ernährung und sonstige Haftbedingungen, soziale Folgen, nicht zuletzt für die Familien, alles das wurde nach dem Krieg nur höchst unzureichend ausgeglichen. Die Wiedergutmachungsakten zeugen von harten und langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen, bei denen es für die ehemaligen Häftlinge um den Nachweis ging, dass ihre Schlafstörungen, ihre Nervosität, ihre Herzprobleme, ihre neurologischen und psychischen Probleme auf die Haft zurückzuführen seien. Es ging bei den Zusatzrenten um einstellige Monatsbeträge in D-Mark. Die Auseinandersetzungen dauerten bis in die Mitte der 1950er Jahre und setzten sich wie im Falle meines Großvaters über dessen Tod hinaus fort.
Trotzdem fanden einige der inhaftierten Bergleute nach dem Krieg die Kraft, in der SPD, in der Gewerkschaft oder öffentlichen Ämtern aktiv am Wiederaufbau von Stadt und Gesellschaft teilzunehmen. Robert Krause, Max Rybacki und Dietrich Kleuken waren Mitglieder der ersten, von den Alliierten berufenen Gemeindevertretung. Im ersten gewählten Stadtparlament wurde Robert Krause zum 2. Stellvertreter von Bürgermeister Otto Schulenburg ernannt.
Auf dem Grabstein von Alfred Hitz auf dem Trompeter Friedhof steht der Leitsatz: Das Banner wird stehen, wenn der Mann auch fällt. Die Bergheimer Widerständler hatten erfahren, wie risikoreich, ja lebensgefährlich politisches Engagement sein kann. Sie setzten es fort. Wir können von ihnen lernen.