Ungelsheim. . Kurt Herborn ist leidenschaftlicher Brombeer-Sammler. Dafür ist jetzt die Zeit gekommen. Seine Frau Ursula macht daraus köstliche Marmelade. Die Früchte stammen vom „Schleichpfad für Süßstoff-Indianer“, wie Herborn sein Geheimreservoir nennt.
Marmelade, Gelee oder Konfitüre – für Fans der Brombeere ist das ganz einerlei. Himmlisch finden sie den Geschmack ohnehin. Die schwarzvioletten Beeren reifen jetzt kostenlos am Wegesrand. Die Standorte der ergiebigsten Hecken sind ein gut gehütetes Geheimnis unter den Sammlern, die nun losziehen, ausgerüstet mit Eimer und Heftpflaster – für die Spuren der wehrhaften Dornbüsche.
Konfitüre aus der ganzen Frucht
Kurt Herborn ist so einer. Sogar eine dreiseitige, unterhaltsam-launige Abhandlung hat er geschrieben über seine Leidenschaft für die „Ungelsheimer Kulturpflanze“ und seine Beutezüge im Schatten der Stahlindustrie. „Wer genießen will, muss viel leiden“, hat er mal auf einem Zettel gelesen, den jemand an die dornigen Sprossen geheftet hatte. Eine Ansage, die der 66-Jährige unterschreiben würde. Einfach kann jeder – deshalb zieht’s ihn auch nicht in leichte Reviere am Ungelsheimer Graben. Ein 300 Meter langer „Schleichpfad für Süßstoff-Indianer“ führt ihn zu den Beeren seiner Begierde in der Hecke am Werkszaun.
„In diesem Jahr bin ich fast zu spät gekommen“, sagt Herborn. Zeitig reifen die Brombeeren. Das wussten wohl die Mitbewerber, die vor dem klassischen Erntestart am 1. August erfolgreich ins Feld zogen. „War schon Vieles niedergetrampelt“, sagt der Ungelsheimer.
Die Produktionsleiterin
Die Ausbeute ist dennoch beachtlich. Das belegt die verarbeitete Menge, die Gattin Ursula bereits in Gläser abgefüllt und auf dem heimischen Küchentisch aufgetürmt hat. „Meine Exekutive“ nennt der Sammler seine Frau, Produktionsleiterin und Fachfrau in Sachen Brombeeren. „Mein Elternhaus ist das älteste in Ungelsheim“, berichtet sie. Ihr Großvater, der Steinmetz Lindemann, errichtete es schon 1948. Wo wenig später die Werkssiedlung entstand, gediehen nicht nur Brombeeren, sondern auch viele Obstbäume. „Wir waren fast Selbstversorger.“
Ursula Herborn ist Puristin in Sachen Zutaten. „Ich mache Konfitüre aus den ganzen Früchten.“ Mit 1:2-Gelierzucker („Das ist weniger Zucker als bei 1:1) versetzt, werden die Früchte aufgekocht – abgefüllt und fertig. Kein Zimt, kein Ingwer, keine anderen Früchte. Auch kein Alkohol, den sie zugibt für den Weingelee aus den Trauben im eigenen Garten. „So schmeckt’s am besten.“
Die Abnehmer
An Abnehmern herrscht kein Mangel – angefangen bei Ulrich, dem Bruder der Marmeladenköchin. Beliebt sind ihre süßen Produkte auch in der Bekanntschaft. „Die Konfitüre ist ein schönes Mitbringsel“, sagt sie.
Für Kurt Herborn steht das Sammeln fast über dem Genuss. „Dort zu suchen, zwischen den Strommasten, im Schatten der Stahlwerke – das ist ein Industriekultur-Erlebnis“, beschreibt er sein Empfinden. Die Brombeeren nennt er „ein Geschenk Gottes“. Nun, der Mann studiert jetzt Theologie. Aber das ist eine andere Geschichte, unabhängig von der Marmelade.