Großenbaum. .

Er hat Fürchterliches mitgemacht. Aber über 65 Jahre nach dem Überleben der Juden-Verfolgung in Deutschland spricht Sally Perel (86) darüber mit solcher Frische und Anschaulichkeit, dass er seine Zuhörer 90 Minuten lang in seinen Bann ziehen kann. Davon konnte man sich jetzt an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung überzeugen.

Perels Vortrag war der Auftakt einer Veranstaltungsreihe, mit der sich die Fachhochschule nach außen öffnen will.

Was freilich „nur“ als Lesung angekündigt war, entpuppte sich als lebendiger, teilweise sogar humorvoll und völlig frei vorgetragener Augenzeugenbericht aus Deutschlands dunkelsten Tagen. Damit ist Perel vier Wochen im Lande unterwegs.

Salomon Perel wurde 1925 in Peine/Niedersachsen als Sohn einer religiösen jüdischen Familie geboren. In Großenbaum berichtete er von einer glücklichen Kindheit, die mit zehn Jahren jäh endete. 1935 waren die neuen Rassegesetze der Nazis in Kraft getreten. Die Judenverfolgung begann. Perel war im dritten Schuljahr. „Ich wurde zum Schulleiter gerufen“, berichtetet er. Er übergab dem Kind einen Zettel für die Eltern mit der Bemerkung „Juden gehören nicht mehr an unsere Schule.“ Er war entlassen - als einer der besten Schüler.

Die Familie wanderte bald nach Westpolen aus, nach Lodz, das bei Kriegsausbruch 1939 von Deutschland besetzt wurde. Deshalb flüchtete sie weiter nach Ostpolen, das damals sowjetisch besetzt war. Aber bei Beginn des deutschen Russland-Feldzugs 1941 fiel auch Ostpolen an die Deutschen. Die Familie kehrte zurück nach Lodz, wo die jüdische Bevölkerung bald in ei­nem Ghetto zusammengepfercht wurde. Die Deportation in ein KZ vor Augen, schleusten die Eltern ihre Kinder heraus. Sie sollten sich irgendwie durchschlagen.

„Wenn diese Trennung endgültig gewesen wäre, wäre ich nie gegangen“, sagt Perel. Am Ende war sie es, die Eltern kamen im KZ um. Der letzte Satz seines Vaters lautete: „Vergiss‘ nie, wer Du bist und glaube weiter an unseren Gott.“ Und seine Mutter gab ihm mit: „Du sollst leben.“ Er entschied sich, seine Herkunft zu verleugnen. „Meine einzige Waffe war die Lüge“, meinte er jetzt.

Der 16-Jährige landete schließlich in einem Waisenhaus im weißrussischen Minsk. Alle Juden dort seien der SS übergeben worden, berichtete er. Perel aber vergrub seine Papiere, gab sich mit seinen perfekten Deutschkenntnissen als Volksdeutscher aus und wurde als Dolmetscher in die Truppe aufgenommen. Als „Josef“ kam er schließlich in eine Schule für die Hitlerjugend (HJ) nach Braunschweig, wo er das Kriegsende 1945 erlebte.

„Wir in der HJ wurden zu Hass erzogen“, berichtete Perel. Sie sei wichtigster Bestandteil der NS-Propaganda gewesen. Schon die Nähe zu einem Ausländer habe als Rassenschande gegolten. Dabei seien auch die Nazis alle getaufte Christen gewesen. „Wo blieb die christliche Nächstenliebe?“, wundert er sich bis heute.

Er befand sich im Gefühls-Dilemma: „Ich überlebte versteckt in der Haut des Feindes“. Gleichzeitig aber habe er ständige Angst gehabt, entdeckt zu werden. „Wie benimmt man sich, um nicht als Jude entdeckt zu werden?“, das habe er sich immer gefragt. Äußeres Merkmal sei ja nur, dass er beschnitten ist. Schon gemeinsames Duschen mit anderen Jungs hätte ihn ja verraten. Aber ein Nazi-Lehrer attestierte dem kleinen Dunkelhaarigen in Rassenkunde prompt, er gehöre zum ostarischen Rassetyp.