Hüttenheim. .
Was es bedeutet, in ein fernes Land auszuwandern, in dem die Lebensgewohnheiten völlig anders als in der Heimat sind, das beleuchteten jetzt drei Vorträge von türkischen Zuwanderern der ersten Stunde im Regionalzentrum Süd. Anlass war das 50 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeabkommen.
Fatma Arslan (62) aus Hamborn war ihrem Ehemann zusammen mit ihren beiden ältesten Kindern 1970 nach Hamborn nachgefolgt. Sie stammte aus einem Dorf nahe der osttürkischen Stadt Elazög. Eindrucksvoll schilderte sie vor rund 30 Zuhörern ihre Ankunft auf dem Düsseldorfer Flughafen: „Es war regnerisch-kalt und das im Juni“, berichtete sie. „In der Türkei gab es keinen Regen im Sommer.“ Bei der anschließenden Fahrt habe sie sich über fahrradfahrende Frauen gewundert. Auch das kannte sie nicht. In Hamborn sei sie dann entsetzt gewesen, dass Deutsche sich auf offener Straße auf den Mund küssten. „Ich dachte, haben die kein Zuhause?“
In Obermarxloh betrat sie dann eine Wohnung ohne WC. „Das mussten wir auf der Treppe mit einer älteren Frau teilen.“ Selbst in ihrem Dorf habe es eine Bademöglichkeit gegeben oder man habe eben im Fluss gebadet.
Die Deutschen hätten damals viel von ihren Kriegserlebnissen berichtet. Aber jene ältere Frau sei zu einer liebenswürdigen Nachbarin geworden. „Sie wollte mich sogar dafür bezahlen, dass ich für sie geputzt habe.“ Auch das hatte sie zuvor nicht gekannt.
Merkwürdig sei ihr auch das erste Weihnachtsfest vorgekommen. „Alle Deutschen trugen Tannenbäume zu sich nach Hause. Die Straßen waren wie ausgestorben.“ Heute stellt sie selbst einen Weihnachtsbaum auf.
Müserref Savas, Jahrgang 1949, folgte ihrem Ehemann Hüseyin 1972 nach Duisburg. Drei Tage war sie mit der Bahn von Kleinasien aus unterwegs. Dass sie nach ihrer Hochzeit die Heimat verlassen sollte, war ihr gar nicht recht gewesen. „Er setzte sich durch mit seiner Sturheit“, erzählte sie.
In ihrer ersten Wohnung in Hamborn sei der Strom abgeschaltet gewesen, weil ein Nachbar dafür nicht bezahlt hatte. „Der erste Tag war schrecklich“, erinnerte sie sich. In Bruckhausen habe die Luft gestunken und die Toilette, die man sich mit drei Familien habe teilen müssen, sei ständig besetzt gewesen.
Schon bald bezogen die Eheleute eine Wohnung mit Bad und WC. 1974 und 1976 kamen die beiden Kinder zur Welt. Man wurde in Walsum heimisch. Ursprünglich hatte man nach zwei Jahren wieder zurückkehren wollen. Aber das zerschlug sich auch wegen der Wirren in der Türkei. Arslans Vater war dabei 1980 erschossen worden. In Marxloh machte sie sich mit einer Änderungsschneiderei selbstständig. Ein älteres kinderloses deutsches Ehepaar schlüpfte in die Rolle der Großeltern. Mit ihnen verbindet die Familie bis heute eine enge Freundschaft.
Ehemann Hüseyin hatte schon während der Bahnfahrt fleißig Deutsch gebüffelt. „Ich hab’ nie geglaubt, die Sprache lernen zu können und so aus dem Rachen heraus zu sprechen“, erzählte er. Aber schnell überholte er mit seinem Talent Nachbarn im Ledigenwohnheim, die schon acht Jahre in Deutschland waren. Hüseyin Arslan stieg bei Thyssen vom Vorarbeiter zum Elektromeister auf. Als Rentner engagiert er sich bei der Arbeiterwohlfahrt und im Nostalgie-Café in Hamborn.