Großenbaum. .

„Lehrer werden - das wollten wir damals nach dem Abitur auf keinen Fall“, erinnern sich Tabea Blümel (28) und Jörn Seemann (43). Doch manchmal kommt es anders, als man denkt. Das Leben führte die Biologin und den Kommunikationswissenschaftler doch wieder an die Schule zurück.

Als „Seiteneinsteiger“ lernen und lehren sie an der Gesamtschule Süd. „Ich unterrichte einfach total gerne, habe meinen Traumjob gefunden“, sagt Jörn Seemann.

Warum die beiden auf Umwegen doch noch Pauker wurden? Der „Fall“ Tabea Blümel liest sich so: Die Biologin ar­beitete nach dem Diplom an der Uni Düsseldorf in der Forschung mit. Da es dort nur befristete Stellen gab, musste sie umdenken. „Ich fand die Idee, Jugendlichen eine Zukunft zu geben und mein naturwissenschaftliches Wissen weiterzugeben, gut. ,Warum nicht als Lehrerin?’ sagte ich mir.“

Im April 2009 (nach einem Auslandsjahr in England) bewarb sich Tabea Blümel an der Gesamtschule Süd. „Das Gesamtschulkonzept, jedem eine Chance zu geben, gefällt mir,“ erklärt sie. Sie wurde eingestellt und „ins kalte Wasser geworfen“. Denn: Seiteneinsteiger müssen - anders als Referendare - von Beginn an 15,5 Stunden pro Woche un­terrichten (bekommen dafür allerdings auch mehr Geld). „Nur drei Tage lang hospitierte ich bei Kollegen, dann ging es los. Ich sollte in einer fünften und einer elften Klasse Bio und in den Stufen 8, 9, 10 Chemie geben“, berichtet die 28-Jährige.

Tage- und nächtelang brütete sie über den Unterrichtsvorbereitungen. „Man weiß ja so Vieles nicht: Wie baue ich eine Stunde auf? Welches Material benutze ich? Wie komme ich mit der Zeit hin? Was den Stoff betrifft, gibt es ja glücklicherweise das Curriculum, an dem man sich langhangeln kann.“ Erfahrene Kollegen hal­fen, gaben nützliche Tipps.

Parallel zum Einsatz in der Schule besuchte Blümel das Studienseminar für Lehramtsanwärter, bereitete sich auf Unterrichtsbesuche und Kolloquien vor. Zudem eignete sie sich in einem speziellen Kurs pädagogische und fachdidaktische Kenntnisse an. „Der Ar­beitsaufwand ist enorm, das Privatleben leidet sehr. Viele Seiteneinsteiger brechen auch wieder ab“, erzählt sie.

Jörn Seemanns beruflicher Werdegang ist noch kurvenreicher: Der 43-Jährige studierte Kommunikationswissenschaft, Marketing und Kunstwissenschaft, war ein Jahr lang im Amt für Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Kapstadt tätig. Zurück in Deutschland, absolvierte er eine Ausbildung als Management-Trainee bei ein­er Spielwarenfirma, doch „das zündete nicht“.

„Damals las ich in der Zeitung, dass dringend Lehrer gesucht würden. Ich schnupperte am Berufskolleg in Krefeld hinein - und bekam für meinen Unterricht ein positives Feedback“, so Seemann. Er bewarb sich an der Gesamtschule am Dellplatz, wurde als Vertretungslehrer (zunächst mit 13 Wochenstunden) eingestellt und erteilte die Fächer Deutsch, Gesellschaftslehre, Sport und Kunst. „Ich wurde sogar sofort Klassenlehrer“, blickt er zurück.

Regulär in den Schuldienst eintreten durfte er aber nicht, weil die Bezirksregierung seine Studienfächer fürs Lehramt nicht anerkannte. „Ich habe also ein Deutsch-Studium nachgeholt - neben einer 25-Stunden-Stelle, die ich zu der Zeit dann an der Gesamtschule Süd hatte.“ Dorthin war der Pädagoge nach drei Jahren gewechselt. Erst nach dem Studium ließ man ihn zum Seiteneinsteigerprogramm OBAS (siehe Zweittext) zu, 2012 wird er das Zweite Staatsexamen ablegen. „Nachdem ich schon sieben Jahre als Lehrer gearbeitet habe“, sagt er.

Trotz der großen Arbeitsbelastung - Tabea Blümel und Jörn Seemann empfehlen den Seiteneinstieg weiter. „Wer Lehrer werden will, muss sich allerdings klar darüber sein, dass Kinder Stress sind, dass sie laut sind und den Unterricht auch mal stören. Man muss sich Respekt verschaffen können“, meint die 28-Jährige. „Und den Schülern zeigen, dass man sie ernst nimmt und sich auch für sie interessiert“, fügt Kollege Seemann hinzu.

Die zwei Seiteneinsteiger werden an der Gesamtschule Süd bleiben. Tabea Blümel freut sich, in der Oberstufe mehr Bio zu geben und ihr Können als Tänzerin im Fach „Darbieten und Gestalten“ einzubringen. Jörn Seemann will sich weitere Tätigkeitsfelder erschließen - schon jetzt ist er SV-Lehrer. Was das Schöne am Lehrerberuf ist? Die beiden Pädagogen sind sich einig: „Mit jungen Menschen kann man so viel erleben . . .“

„Erfrischender wind“ im Lehrerzimmer

Seiteneinsteiger sind an manchen Schulen gefragt, an anderen kaum. Wie groß ihre Chancen sind, hängt von ihrer Fächerkombination ab, aber auch vom Schultyp und der Zahl der Regelbewerber (Lehramtsanwärter). Am Man­nesmann-Gymnasium und der Realschule-Süd gibt es keine Seiteneinsteiger im Kollegium. Die Hauptschule Beim Knevelshof war für eine Auskunft nicht zu erreichen.

Am Bertolt-Brecht-Berufskolleg zählt man im 87-köpfigen Lehrerteam zehn Seiteneinsteiger - zwei weitere befinden sich in Ausbildung. „Das sind Kollegen, die Elektrotechnik, Kfz-Technik und Informatik unterrichten. Auf un­sere detaillierten Ausschreibungen bewerben sich immer Leute, die nicht mehr in der Industrie arbeiten wollen“, so Schulleiter Wolf Machon. Wer nur ein FH-Studium absolviert habe, müsse vor dem Seiteneinstieg aber noch ein Uni-Diplom erwerben. Bisher habe man mit den Seiteneinsteigern „immer Glück gehabt“. „Sie bringen erfrischenden Wind.“

Alois Wollny, Leiter der Gesamtschule Süd, hat mit Jörn Seemann und Tabea Blümel erstmals zwei Seiteneinsteiger eingestellt. „Und zwei geborene Lehrer erwischt“, sagt er und fügt hinzu: „Vielleicht liegt es daran, dass wir die Bewerber sehr sorgfältig ausgewählt haben, neben fachlicher Kompetenz auf Persönlichkeit, Kreativität und Erfahrungen im Umgang mit Kindern geachtet haben.“ Die Auswahlkommission setze sich aus der Frauenbeauftragten der Schule, einem Mitglied der Lehrerkonferenz, einem Mitglied der Schulkonferenz und dem Schulleiter zusammen.

Seine Seiteneinsteiger wird Wollny übernehmen, denn: „Wir haben ja in sie investiert. Sie werden als Vollzeit-Lehrer gezählt, geben aber zehn Stunden weniger Unterricht, weil sie ja das Studienseminar besuchen. Diese Fehlstunden werden von der Bezirksregierung nicht ausgeglichen - wir bekommen weder Geld noch Vertreter dafür.“

Info: Die Ausbildung nach OBAS

Wer ein abgeschlossenes Hochschulstudium in einem Unterrichtsfach hat und nachweisen kann, dass er ein weiteres Fach im nötigen Umfang studiert hat, kann eine zweijährige berufsbegleitende Ausbildung nach der „Ordnung zur berufsbegleitenden Ausbildung von Seiteneinsteigern und der Staatsprüfung“ (OBAS) absolvieren - und mit dem Zweiten Staatsexamen abschließen. Die Seiteneinsteiger sind in Vollzeit angestellte Lehrkräfte in Ausbildung, die 15,5 Stunden in der Schule unterrichten, gleichzeitig am Studienseminar ausgebildet werden und zusätzlich einen 60-stündigen Kurs in Bildungswissenschaften (mit Abschlussprüfung) besuchen. Der Seiteneinstieg über OBAS ist äußerst arbeitsintensiv und erfordert unerschrockene Kandidaten. Eine weitere Möglichkeit, als Lehrer an einer Schule tätig zu werden, ist die „Pädagogische Einführung“. Informationen dazu gibt es im Internet auf www.nds.gew-nrw.de