Huckingen.

Tinnitus, das Ohrgeräusch, dem kein tatsächliches Geräusch entspricht, kann man nur selten zum Verschwinden bringen. Aber wie man damit erträglich leben kann, darüber sprach jetzt der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. Uso Walter im Malteser-Krankenhaus St. Anna.

Dr. Walter ist an der Mündelheimer Straße niedergelassen und hat zusammen mit Kollegen ein Therapie-Verfahren entwickelt, das auf Aufklärung, realistische Therapieziele und Einbeziehung der Betroffenen sowie ihrer Lebensumstände setzt. „Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist entscheidend für den Erfolg“, sagt er. Denn Besserung könne nicht einfach verordnet werden.

Um das Phänomen Tinnitus, von dem bis zu 20 % der Bevölkerung betroffen sind, zu verdeutlichen, ging Dr. Walter in die Evolutionsgeschichte zurück. Das Gehör habe ursprünglich Warnfunktion gehabt, habe vor allem bei Nacht den Körper in Alarmbereitschaft versetzt.

Alarmfunktion

Gehör und Gehirn würden schnell unterscheiden, ob ein Ge­räusch wichtig oder unwichtig sei. Vogelzwitschern etwa werde relativ leise wahrgenommen und kurze Zeit später, wenn man sich nicht darauf konzentriere, gar nicht mehr. Anders der herannahende Rettungswagen. Ihm gehe der Hörer gewöhnlich nach, schenke ihm Aufmerksamkeit - und verstärke es dadurch.

Das Krankhafte am Tinnitus sei, so der Referent, dass es den Körper unnötig in Alarmbereitschaft versetzt: Man bleibe wach, der Blutdruck steige, man frage sich, ob man krank sei oder taub werde. Die Anspannung nehme zu, das Immunsystem werde geschwächt, die Verdauung gestört. Hinzu komme, dass die Verarbeitung im Alarmzustand alle Geräusche noch verstärkt, die Geräuschempfindlichkeit steige also auch noch.

Im schlimmsten Fall seien psychosoziale Probleme, Isolation, Berufsunfähigkeit und Hilflosigkeit die Folgen. Mit zunehmendem Alter seien Ohrgeräusch übrigens normal. Weil sie im Gegensatz zum Tinnitus langsam ansteigen würden, so Dr. Walter, gewöhne sich der Körper daran.

Anders bei Tinnitus. Um damit erträglich leben zu können, rät der HNO-Arzt, genau die Mechanismen auszunutzen, die seine Entstehung mög­lich machen. Psychologische Behandlung und Medikamente könnten dabei auf den Ausnahmefall beschränkt werden.

Grundkrankheiten

Grundkrankheiten wie Hörsturz oder Erkrankungen des Mittelohrs müssten natürlich behandelt werden. Entscheidend aber sei es, anzunehmen, dass der Tinnitus eine Reaktion des Gehörs/Gehirns auf Überlastung, auf äußeren Druck und Anspannung, ist. Denn daran könne man etwas ändern.

Entspannung sei angesagt, sowohl körperlich, im Bereich von Kiefer und Nacken, als auch durch Bewegung. „Die Natur hat uns so geschaffen, acht bis zehn Stunden am Tag zu laufen“, so der Referent. Sein erstes Rezept gegen Tinnitus lautet daher: „Entspannung durch Bewegung“. So ließen sich Stresshormone abbauen. Auch Qigong, die chinesische Meditation, vermittele das Entscheidende: kraftvoll zu stehen oder zu gehen, aber dabei mit Oberkörper und Kopf locker zu werden.

Betroffene müssten Stressfaktoren vermindern, Überarbeitung etwa oder belastenden Schichtdienst. Und: „Manchmal hilft ein Gespräch mit dem Ehepartner“. Auf jeden Fall müsse man lernen, mit dem Tinnitus rational umzugehen, etwa indem man bereits einkalkuliert, dass er nach Stress am nächsten Tag wieder auftreten wird.

Zur Information

Die zweite Komponente der Therapie, so Dr. Uso Walter, besteht aus der Umsetzung des Grundsatzes „Ruhe durch Geräusche“. „Was wir als akustische Ruhe empfinden, ist nicht Totenstille, sondern leichte Ne­ben­ge­räusche, natürliche Geräusche, Musik“, erklärte er. Dafür wieder empfänglich zu werden, dazu sei ein mehrmonatiges Hörtraining erforderlich, um die Lärmempfindlichkeit zu senken. Ziel müsse sein, die individuell angenehme Lautstärke langsam zu steigern. Die Geräuschmischung mit dem Tinnitus bewirke dabei mit der Zeit, dass der Tinnitus nicht mehr verstärkt wird und damit nicht mehr lauter wahrgenommen wird. Bei Altersschwerhörigkeit sei ein Hör­gerät dabei sehr nützlich.

Die Selbsteinschätzung des Betroffenen nehme jedenfalls zu, der Therapeut mache sich auf Dauer überflüssig und un­ter günstigen Umständen, so Dr. Walter, verschwinde das störende Geräusch sogar ganz.