Huckingen.
Der kleine Max (Name geändert) brachte seine Mutter zur Verzweifelung. Der 2½-Jährige gehorchte nicht - egal, wie streng sie mit ihm sprach. Außerdem redete er kein Wort. Und: Er spielte nie mit anderen Kindern.
Woran das lag, fand man in der Pädaudiologie des Malteser Krankenhauses St. Anna heraus. Der Junge hörte schlecht. Er bekam ein Hörgerät, nach einem halben Jahr sah die Situation ganz anders aus: Max war ausgeglichen, lernte sprechen, fand Spielkameraden.
Mit Fällen wie diesem haben es Dr. Renate Budde und Dr. Beate Borger-Dohrmann oft zu tun. Die Fachärztinnen für Phoniatrie und Pädaudiologie sowie Chefarzt Dr. Donald Becker diagnostizieren Hörstörungen bei Kindern vom Säuglingsalter bis zur Pubertät sowie Störungen der Sprach- und Sprechentwicklung bei Kindern und Erwachsenen. Und leiten nach eingehenden Tests dann eine Therapie ein.
„Wer nichts hört, lernt nicht sprechen“ lautet eine einfache Erkenntnis der Pädaudiologie, eine weitere besagt: „Ein Großteil der Hör- und Sprachentwicklung findet in den ersten zwei Lebensjahren statt, noch bevor es mit dem Sprechen so richtig los geht“. Akustische Reize, die das Kind in dieser Zeit wahrnimmt, sorgen dafür, dass sich Nervenverbindungen im Gehirn, die für die Schallverarbeitung wichtig sind, ausbilden. „Deshalb sollten Hörstörungen bei Kindern früh erkannt und behandelt werden, am besten in den ersten drei Lebensmonaten“, sagt Dr. Renate Budde.
Seit Januar 2010 werde in den Geburtskliniken ein Neugeborenen-Hörscreening durchgeführt - um angeborene Schwerhörigkeit oder Taubheit zu erkennen. „Dabei werden die Sinneszellen des Innenohres getestet“, erklärt Dr. Beate Borger-Dohrmann. Die Erfahrung zeigt: cirka 96 Prozent der Babys hören „normal“, bei vier Prozent stellt man „Auffälligkeiten“ fest. „Diese Säuglinge kommen zu uns, hier werden weitere Tests gemacht“, so die Ärztinnen.
Vielfach kann danach Entwarnung gegeben werden. „Nur etwa eins von tausend Kindern ist wirklich angeboren schwerhörig.“ Und das kann schon im zarten Alter von ein paar Wochen ein Hörgerät bekommen. Oder auch ein Cochlea Implantat, d.h. eine Hörprothese, die das Wahrnehmen von Sprache und Tönen ermöglicht. „Bei Gehörlosen, die diese Implantate als Babys bekommen, erfolgt der Spracherwerb meist fast normal. Dank dieser Technik können viele sogenannte ,taubstumme’ Kinder heute die Regelschule besuchen“, so Borger-Dohrmann.
Früher sei die Hörstörung oft erst bei der Einschulung festgestellt worden. Also zu spät. Heute sei Früherkennung und -behandlung möglich. Sie verhindere, dass die geistige und seelische Entwicklung eines Kindes leide.
Einfach ist die Kinderhördiagnostik ist, weil es viele Gründe für und Arten der Schwerhörigkeit gibt. In der Pädaudiologie wendet man verschiedenste Mess- und Testmethoden an, die von Audiometristen und anderen Experten durchgeführt werden (z.B. Spielaudiometrie, objektive Audiometrie, Ton-Hörschwellen-Bestimmung). Viele Kinder müssen mehrmals kommen, bevor eine Diagnose ge-stellt werden kann. Neben der Innenohrschwerhörigkeit, die genetisch bedingt ist oder z.B. durch Infektionen in der Schwangerschaft entstehen kann, gibt es z.B. die Schallempfindungschwerhörigkeit: Es kommt zu wenig Schall im Innenohr an.
Grund ist meist ein Paukenerguss, der während eines Infektes entstanden ist. Sekret sammelt sich im Mittelohr, verursacht die Minderbelüftung desselben. Ein Problem, das vor allem bei Drei- bis Vierjährige auftritt und oft unbemerkt bleibt. Dr. Budde: „Ist es mit konventionellen Mitteln wie Nasentropfen, Antibiotika, usw. nicht wegzukriegen, müssen eventuell Paukenröhrchen eingesetzt werden, die Luft ins Mittelohr lassen.“
Hörstörungen gehen nicht immer mit Schwerhörigkeit einher. Bei der „Auditiven Wahrnehmungsstörung“ etwa hört das Kind normal, aber im Gehirn läuft bei der Verarbeitung der Informationen etwas schief (siehe Zweittext). Was auch immer vorliegt - betroffene Familien haben Ängste, brauchen Informationen. Die Pädaudiologinnen müssen neben Fachkenntnis daher vor allem auch ein Ohr für die Eltern ihrer Patienten haben.