Duisburg-Huckingen. „Ich würde so gerne noch einmal . . .“ – dieser Satz endet bei jedem Menschen im Hospiz anders. Wir haben einige letzte Wünsche aufgeschrieben.
Sie fehlen immer, doch in diesen Tagen, wo es auf Weihnachten zugeht und überall die Lichter in den Fenstern das Fest herbeileuchten, da fehlen sie besonders: Die verstorbene Ehefrau, der Vater, die Tochter. Für die Hinterbliebenen währt der Abschied vom geliebten Menschen Jahre, Jahrzehnte, ein Leben lang. Für die Sterbenden ist der Abschied ein kürzerer – doch sie verbringen ihre letzten Wochen im Bewusstsein des nahenden Todes. Wie sagt man seinem eigenen Leben Lebewohl?
Nochmal mit den Jungs zum Frühschoppen
- Da ist dieser ältere Herr, schon um die 80. Lange Jahre war er Mitglied in einem Angelverein in Wedau. Zu Schwester Sylvia sagt er eines Tages: „Ich würd’ so gern noch mal zu den Jungs zum Frühschoppen gehen.“ Die Jungs treffen sich immer sonntags. Schwester Sylvia hat frei; sie geht mit. „Wir kamen in das Lokal, und er wurde empfangen wie King Louis. Gestandene Männer, und sie hatten das Pipi in den Augen. Wir haben alle ein bisschen geweint – und dann haben die zusammen lecker Bierchen getrunken.“ -
Am Ende steht oft ein letzter Wunsch. Sylvia Landmann-Frankenbusch ist eine Frau, der Sterbende diesen letzten Wunsch anvertrauen: Seit 18 Jahren arbeitet sie als Krankenschwester im Malteser-Hospiz St. Raphael. Sie hört zu, wenn Sätze fallen, die beginnen mit „Ich würde so gerne noch einmal . . .“. Sie gehört zu denen, die mit vorbereiten, möglich machen, organisieren. Und sie ist nicht selten dabei, wenn ein Sterbender seinen letzten Lebenswunsch erfüllt bekommt. Auch dann, wenn sie eigentlich frei hätte.
In der Disco tanzen und feiern
- Da ist jene junge Frau, erst knapp über 30. Diagnose: Brustkrebs. Sie feiert gerne, am liebsten zu lauter Musik, tanzend, in der Disco. Eine Leidenschaft, die sie auch angesichts des Todes nicht aufgibt: Tagsüber lebt sie im Hospiz – nachts in der Disco. Bis Mitternacht zu Hause sein, heißt es allerdings; sonst gibt’s Probleme mit der Krankenkasse. Dann kommt das Betriebsfest. „Da haben wir sie mitgenommen und die halbe Nacht mit ihr durchgefeiert.“ -
Schwester Sylvia, wie sie hier alle nennen: eine rundliche kleine Frau mit festem Händedruck, kurzem Haar, herzlichen Augen. Schwester Sylvia strahlt Wärme aus. Patienten müssen sich bei ihr aufgehoben fühlen, geborgen. Man versteht sofort, dass sie dieser Frau anvertrauen, wonach sie sich ein letztes Mal sehnen.
Eine Ballonfahrt erleben
- Mitte bis Ende 60, „ein Baum von einem Mann“. Sein letzter Wunsch: einmal mit einem Ballon fahren. Doch dafür ist er schon zu schwach: In den Ballon springen und wieder raus, das würde er nicht mehr schaffen. Gemeinsam überlegt man: ein Rundflug wäre möglich. Zusammen mit einem Freund. Gebucht ist der Flug. Aber dann: Zweimal, dreimal sagt der Flughafen ab – das Wetter ist zu schlecht zum Abheben. „Beim letzten Mal hat er selber abgesagt.“ Zu schwach. Und trotzdem: „Es hat ihm gut getan zu sehen: Wir versuchen, ihm den Wunsch zu erfüllen.“ -
Da sind die kleinen Wünsche, die großen – und die Unerfüllbaren. Da möchte jemand „noch mal baden, noch mal duschen, noch mal ein leckeres Eis essen“. Kleinigkeiten, die im Alltag selbstverständlich waren, werden auf dem Sterbebett zu Kostbarkeiten – ein letzter Luxus im Leben.
Im Rollstuhl zum Konzert der Lieblingsband
- Da ist diese Geschichte von einem Mann, zwischen 40 und 50, Schwester Sylvia weiß es nicht mehr genau. Ein Tumor hat ihn in den Rollstuhl gezwungen, die Schmerzen sind nur noch mittels Schmerzpumpe zu ertragen. Und dann diese Nachricht: Seine Lieblingsband spielt in Düsseldorf. Ob er wohl zum Konzert . . .? Er kann. „Im Rollstuhl, mit seiner Schmerzpumpe, mit einem Kumpel. Er war beseelt.“ -
Da sind die großen Wünsche: der Traum von einer Ballonfahrt – ein Blick aus dem Himmel aufs irdische Leben. Auch die großen Wünsche erfüllen die Mitarbeiter des Hospizes. Möglich ist, möglich machen sie, was der Körper des Bewohners noch schafft.
Zum Abschied das Lieblingsessen genießen
- Ein Krebspatient, Mitte bis Ende 60. In seinem Leben hat er gerne gekocht, gerne gegessen. Sein Lieblingsessen: Spargel. Den will er ein letztes Mal genießen. Und zwar nicht nur auf dem Teller. Ehrenamtliche kaufen den Spargel, entwerfen Menüs: eins mit Hühnchen, eins mit Schweinelende. In der Küche sitzt der Patient und schält den Spargel mit. „Der hatte unheimlichen Spaß.“ -
Nicht alles ist möglich. Ein letztes Mal auf eine Kreuzfahrt zu gehen, noch einmal zu fliegen – solche Wünsche sind größer als die Kraft des sterbenden Körpers. Und trotzdem: Selbst wenn der Patient weiß, dass sich sein Wunsch nicht mehr erfüllen wird, dass er Traum bleiben wird – er schöpft Kraft daraus. „Der Wunsch hält sie ein Stück weit am Leben“, weiß Schwester Sylvia. „Er macht sie ein bisschen froh.“
Besuch vom Pferd bekommen
- Es gibt diese junge Frau, um die 30 Jahre. Sie besitzt ein eigenes Pferd. Von dem Tier hat sie sich schon verabschiedet. Dann der Wunsch: doch noch einmal das Pferd sehen. Der Transport vom Stall zum Hospiz ist schon organisiert, das Pferd hätte durch die Terrassentür zu seiner Besitzerin herein schnauben können. Doch die junge Frau überlegt es sich anders. „Um das Pferd nicht so zu belasten.“ -
Dass ein Wunsch sich nicht mehr umsetzen lässt, heißt nicht, dass er unerfüllt bleiben muss. Im Gespräch mit dem Bewohner suchen Schwester Sylvia und die anderen Mitarbeiter nach Alternativen. Oft finden sie welche. Nicht immer.
Die Hochzeit der Tochter miterleben
- Eine Frau mittleren Alters. Der Krebs hat ihr die Kraft genommen, das Hospiz noch einmal zu verlassen. Aber sie ist Mutter eine Tochter, sie wird einen Schwiegersohn bekommen: Die Tochter wird heiraten. Die Hochzeit der Tochter mitzuerleben, das wünscht sie sich. Aber wie, wenn sie doch nicht aus dem Hospiz kann? Die Liebe zwischen Mutter und Tochter ist stärker als die Krankheit. „Die haben die ganze Hochzeit hierhin verlegt: Die Braut in Weiß; der Standesbeamte ist rausgekommen.“ Und so erfüllt sich der letzte Wunsch der Sterbenden: Die Mutter ist dabei, als ihre Tochter das entscheidende Wort sagt: „Ja.“ -
Die Wünsche der Hospizbewohner: Sie sind so individuell wie die Patienten selbst. Sie erzählen ein Stück weit, welcher Mensch da diese Welt verlässt, was ihm im Leben wichtig war. Wofür er gelebt hat.
Es sind Geschichten, die nicht vom Tod erzählen.
Sondern vom Leben.
>> DAS HOSPIZ ST. RAPHAEL: EIN HAUS ZUM LEBEN FÜR DIE STERBENDEN
Zwischen 150 und 190 Menschen verbringen jedes Jahr ihre letzte Lebenszeit im Malteser-Hospiz St. Raphael.
Zwölf Zimmer für Patienten stehen im Hospiz zur Verfügung. Es sind Einzelzimmer mit einer Größe von etwa 20 Quadratmetern. Sie sind alle um den begrünten Innenhof herum angeordnet und verfügen über eine Terrasse.
Dazu kommen Gästezimmer: Besuch ist möglich, so lange und so oft der Patient es wünscht. Auch Haustiere dürfen jederzeit zu Besuch kommen. Und mehr: Sie können sogar mit ihrem Besitzer zusammen einziehen. Auf diese Weise kam das Hospiz schon an Katzen, einen Graupapagei und Leguane als vorübergehende Mitbewohner. Bedingung für einen tierischen Einzug ist aber, dass ein Erbe des Tiers feststeht.
Die Unterbringung im Hospiz ist für die Bewohner und ihre Angehörigen kostenlos. 90 Prozent des Tagessatzes übernehmen die Sozialkassen. Die übrigen zehn Prozent bringt der Träger des Hospizes über Spenden und andere freie Mittel auf; das ist gesetzlich vorgeschrieben.