Der Stadtteil ist alt, es gibt keine Einkaufsmöglichkeiten, immer mehr Geschäfte schließen, sagen die Leser. Die Redaktion hörte sich im Ortsteil um
Die weiße Bank führt einen zum Kern der Sache. Auf ihr haben sie alle schon gesessen, ob nun der Apotheker, Arzt oder Lehrer. Hier im Dorfkern von Bissingheim versammelte sich das Leben. Wo? Im Fleischerfachgeschäft Diel.
Heute hat Annelore Diel auf der Bank Platz genommen, auf diesem Möbel, das die 76-Jährige nun schon beinahe ihr ganzes Leben begleitet. Heute ist es ihr Sohn Wolfgang, der die Fleischerei führt. Dieses Geschäft, das für Beständigkeit steht, das es seit 1925 in Bissingheim gibt, verlangt Wolfgang Diel heute vor allem eines ab: Standhaftigkeit gepaart mit Durchhaltevermögen. Denn mit den Preisen der „Großen” könne er nicht mithalten.
Dabei läuft die Fleischerei nicht schlecht. Besonders zum Wochenende hin versorgen sich die Bissingheimer mit selbstgemachter Wurst. „Aber unterm Strich bleibt nichts über”, sagt Wolfgang Diel (46), der seinem Vater auf dem Sterbebett versprochen hat, den Laden so lange wie möglich zu halten. Mutter Annelore Diel findet andere Worte für diese Zwickmühle, in der das kleine Geschäft steckt. „Ich sage immer, wir gehen in voller Blüte unter.” Annelore Diel, die es in den Nachkriegswirren von Ostpreußen nach Bissingheim verschlug, die hier im Alter von 16 Jahren ihren späteren Mann Adolf Diel kennen lernte, betont: „Mir ist es noch nie schlecht gegangen.” Was ihr Sohn trocken kommentiert: „Du hast immer nur gearbeitet.” Klar, neben der Arbeit in Fleischerei, hinter deren Theke sie stets stand, zog die energisch- drahtige kleine Frau mal eben vier Kinder groß.
Aber sie hatte hier in dem Geschäft in Bissingheim ihren Platz im Leben. Kannte die Kunden, kannte deren Geschichten, steckte den Familien mit den vielen Kindern immer mal ’ne Wurst gratis in die Einkaufstasche. Und jetzt sagt Annelore Diel, die nicht in Rente, sondern in „Reserve” ging, immer wieder: „Ist das nicht traurig.”
Was traurig ist? „Wir wissen nicht, ob wir den Laden aufmachen oder zu lassen sollen”, sagt sie. Oder: „Früher haben wir tonnenweise Wurst ver- kauft. Für die Gesellen gab es Tonnengeld.”Klar, auch heute noch lieben die Menschen im Ort die Fleischwurst. Aber tonnenweise geht eben nichts mehr über die Ladentheke. Auch Wolfgang Diel beschreibt den Schwund: „Als ich 1976 in der Lehre war, da haben wir pro Woche 13 Schweine geschlachtet.” Heute seien es gerade mal vier Schweine.
Aber mal abgesehen von der Anzahl der Tiere läuft das Fleischerei-Leben ansonsten so weiter wie bisher. Das heißt, immer wieder dienstags beginnt die „Schicht” in der Wurstküche um 3.30 Uhr. „Um 8 Uhr ist dann alles frisch fertig”, sagt der Metzgermeister. Das Problem, das er als kleines Geschäft hat: „Die Leute gehen erst ab donnerstags so richtig einkau- fen.” In Bissingheim wohnten jetzt auch viele junge Leute. „Da sind in den Familien dann Mann und Frau berufstätig und kaufen in der Woche nicht so viel ein”, sagt Wolfgang Diel. Und so lasten die Personalkosten schwer auf seinem Budget. Sicher, er könnte sich auch selbst hinter die Theke stellen.
Aber dann bestünde sein Leben tatsächlich nur noch aus Arbeit. „Wo sind nur unsere schönen Zeiten geblieben”, fragt sich Annelore Diel. Dabei sitzt sie auf der weißen Bank, die sie bei einer Renovierung schon rausschmeißen wollte. Aber ein 86-jähriger Kunde war damals darüber entsetzt. Mit dieser Bank lebe und sterbe das Geschäft, habe der Mann gemeint. Noch steht sie, die Bank, noch steht sie.