Großenbaum. . In einer WG im Kinderdorf hoffen sieben junge Flüchtlinge auf eine Zukunft in Deutschland. Nicht für alle werden sich ihre Träume erfüllen.
Nudeln mögen sie an Deutschland am wenigsten. Dann doch lieber Reis, den sind sie aus ihrer Heimat gewohnt. Gut, dass die sieben Jungs aus sechs Ländern mitreden können beim Einkaufen und Kochen. Mitreden auf Tadschikisch, Persisch, Englisch, Russisch – Sprachkenntnisse, die alleine einer der sieben Jungs in die internationale Wohngemeinschaft mitbringt. Und nach zwei Monaten im neuen Land schon genug Deutsch, um den Reportern zu sagen: Sein Name soll nicht in der Zeitung stehen, auch fotografiert werden möchte er nicht. Mitte März hat die Wohngemeinschaft im Kinderdorf Großenbaum eröffnet: für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge, wie es im Amtsdeutsch korrekt heißt. Im Kinderdorf sagen sie schlicht: für Jugendliche. Für die Jugendlichen also, für ihre sieben Bewohner ist die WG Hilfe, Halt und ein Stück neue Heimat zugleich.
Einen Vormund organisieren, den Asylantrag stellen, einen Schulplatz besorgen – ein neues Leben in Deutschland bedeutet zunächst: Bürokratie. Bürokratie, um die sich die Mitarbeiter des Kinderdorfs kümmern. Sowie um schlicht Praktisches: Als Grundausstattung bekommen die jungen Flüchtlinge „Shampoo, ein eigenes Handtuch, Erstbekleidung“, berichtet Alban Dautaj, Gruppenleiter der WG.
Zwischen Bürokratie und Menschlichkeit
Zwischen Formularen und der Ausgabe von Shampoo-Flaschen darf das Menschliche nicht zu kurz kommen. Vom Kinderdorf aus machen die Betreuer Angehörige ausfindig in den tausenden Kilometern entfernten Heimatländern, stellen den Kontakt her zu Müttern, Onkeln, Geschwistern. Junge Menschen wie Abdulaziz brauchen Zuwendung. Knapp 10 000 Kilometer hat er aus seinem Heimatstaat Somalia hinter sich gebracht, hat auf seinem Weg die Sahara durchquert – zu Fuß. Mit 16 Jahren. Wie kommt so jemand hier an? In welcher körperlichen, in welcher seelischen Verfassung? Alban Dautajs Antwort fasst das in einem Wort zusammen: „Müde.“
10 000 Kilometer Fluchtweg
Die Sätze der Kinderdorf-Mitarbeiter können kaum transportieren, was hinter den jugendlichen Flüchtlingen liegt:
„Wir haben Jugendliche, die zwei Jahre unterwegs waren“, sagt Alban Dautaj.
„Wir haben Jugendliche, die waren auf der Flucht im Gefängnis“, sagt Ingrid Lauterborn-Astrath, Geschäftsführerin des Kinderdorfs.
Dann endlich: Deutschland. Und nach mehreren Stationen: das Kinderdorf. Ein Schild im Flur der WG, auf dem jeder Bewohner in seiner Muttersprache nur ein Wort geschrieben hat: Willkommen. Pinke Klebezettel mit neuen Worten pappen an Gegenständen: die Stereoanlage, der Kühlschrank, das Geländer. Im Esszimmer hängen Plakate aus dem Deutschunterricht mit Bildern und Begriffen: eines für Obst, eines für Gemüse, ein drittes für weitere Lebensmittel. Dreimal pro Woche haben die Jungen Deutschunterricht. Dazwischen sieht man sie häufig mit dem Handy in der Hand und Kopfhörern im Ohr: Deutschlernen per App. Jede Vokabel ein Schritt auf dem langen Weg des Ankommens.
Träume mit Bodenhaftung – doch nicht alle werden sich erfüllen
Zwischen 13 und 17 Jahren alt sind die Jugendlichen in der WG. Sie kommen aus Syrien, dem Irak und aus Afghanistan, aus Somalia, Guinea und Tadschikistan. Der halbe Weltball in einer Wohnung. Für die Deutschen ist „Alltag“ fast ein Schimpfwort geworden; für die jugendlichen Flüchtlinge bietet Alltag vor allem: Halt. Gemeinsam frühstücken, einkaufen, den Hausputz machen: Die tägliche Routine bringt Struktur in ihr Leben, bringt Sicherheit.
So wird das Zimmer in der Kinderdorf-WG zum Anfang eines neuen, sicheren Lebens, eines Lebens in Deutschland. „Sie wollen zur Schule gehen, einen Beruf lernen, hier bleiben“, erzählt Alban Dautaj. Einer der Jungs will Wasserinstallateur werden, ein anderer Schreiner; gern hilft er dem Kinderdorf-Hausmeister. Es sind Träume mit Bodenhaftung – und doch werden sie sich nicht für alle erfüllen. „Selbst Jungen aus Afghanistan und dem Irak dürfen nicht sicher hier bleiben“, sagt Dautaj.
Und trotzdem: Ingrid Astrath blickt mit Optimismus nach vorne, wenn sie auf ihre Jugendlichen schaut. „Bei allem, was sie erlebt haben“, sagt sie: „Die Zukunft kann eine sein.“