Serm. . Worte wie „Koschstök“ machen das Sermer Platt einzigartig, doch immer weniger Menschen sprechen es. Der Platt-Treff hält den Dialekt lebendig – noch.

Früher war das Sermer Platt in aller Munde. Heute droht es allmählich zu verstummen: Nur wenige der Jüngeren sprechen es noch. Mit zwei Urgesteinen des Sermer Platts, Agnes Schmitz und Heinz Baltes, hat sich Redakteurin Monique de Cleur über ihren Heimatdialekt unterhalten.

Platt oder Hochdeutsch: Was ist Ihre Muttersprache?

Heinz Baltes: Beides. Meine Eltern sprachen gar kein Platt, aber ich war viel bei den Großeltern, und die sprachen Platt. Meine Mutter konnte das nicht.

Agnes Schmitz: Bei uns zu Hause wurde nur Platt gesprochen, unseren Eltern fiel Hochdeutsch schwer. Platt war die Muttersprache.

Baltes: Ihre Mutter war im Huckinger Krankenhaus, und die Ärzte konnten sie nicht verstehen. Da haben sie die Enkelin angerufen zum Übersetzen.

Schmitz: Wir haben Schwierigkeiten in der Schule gehabt: „Mir und mich verwechsel ich nich’, dat kommt bei mich nich vor“, das war eine Sache der Aussprache.

Baltes: Die Älteren sagen das immer noch. Dann denk ich immer: Da isset wieder.

Was bedeutet Ihnen der Dialekt?

Baltes: Dat is Heimat für mich.

Schmitz: Ja, richtig. Man weiß, wo man herkommt.

Baltes: Wie so’n Wohlfühlfaktor. Man kann es nicht beschreiben.

Ganz so professionell wird’s nicht – dafür unterhaltsamer.
Ganz so professionell wird’s nicht – dafür unterhaltsamer. © Bianca Peters

Wo liegen die sprachlichen Grenzen?

Schmitz: Hier ist auch viel Ruhrgebietsplatt.

Baltes: Wie „Komma am Telefon“. Das Mündelheimer Platt ist noch ein bisschen anders, aber nicht viel. Hier sagt man, mer jont spiele, der Spielkreis in Mündelheim heißt Mölschem speelt. Unsere Verwandten in Ungelsheim haben das schon nicht mehr gesprochen.

Wie oft sprechen Sie Platt?

Schmitz: Normalerweise unterhalten wir uns auf Hochdeutsch. Dat is auch schwierig, da reinzukommen.

Baltes: Aber wenn der andere Platt spricht, sprechen wir auch Platt. Und sonst auf den Platttreffen alle zwei Monate. Es gibt auch Lieder auf Sermer Platt, die werden auch in der Plattmesse alle zwei Jahre gesungen, obwohl das keine Kirchenlieder sind.

Wie viele Sprecher gibt es noch?

Baltes: Ob et noch 50 sind? Die Alten werden immer weniger. Vielleicht 30.

Schmitz: Es sind mehr, die’s verstehen, aber sprechen tun’s immer weniger. Die jüngsten Sprecher sind so 40, 45 Jahre. Aber die sprechen es normalerweise nicht, obwohl sie es können.

Baltes: Aber auf Veranstaltungen machen die mit.

Was macht das Sermer Platt besonders?

Schmitz: Zoppenmetz, Schöttelplack. (Kartoffelschälmesser und Spültuch, Anm. d. Red.).

Baltes: Koschstök.

Schmitz: Ein Stück vom Schwein. Wenn früher geschlachtet wurde, kriegte der Nachbar ein Koschstök.

Baltes: Während und kurz nach dem Krieg hielten alle Leute Schweine und Karnickel. Da kam ein Mann zur Viehzählung raus. Ham Se Schweine? Nein. Ziegen? Nein. Sonst noch Tiere? Jo, Hippe dree – das waren die drei Ziegen. So gibbet viele schöne Geschichten.

Wie sehen Sie die Zukunft des Sermer Platts?

Schmitz: Nix mehr.

Baltes: Glaub’ ich auch nicht. Da kommt keiner mehr nach. Dat is eigentlich schade. Man müsste vielleicht mal dem Kinderchor was auf Platt geben. In Düsseldorf gibt es eine Mundartakademie, die hat 8000 Mitglieder.

Schmitz: Wenn ich im Kindergarten Martinslieder auf Platt gesungen hab’, waren die alle mucksmäuschenstill und haben zugehört. Interessieren tut die das schon.

Mancherorts ist das jeweilige Platt Unterrichtsfach. Würden Sie sich das für Serm auch wünschen?

Schmitz: Das wär’ schön.

Baltes: Aber wer soll das unterrichten?

Haben Sie selbst die Mundart an Ihre Kinder weitergegeben?

Baltes: Nein. Ich kann gar nicht sagen, warum. Sie verstehen es, aber sie können es nicht sprechen.

Schmitz: Ja. Wir haben uns unterhalten: Wir Platt, die Kinder Hochdeutsch. Die verstehen es heute, sprechen es aber nicht. Ich weiß nicht, warum.

Hintergrund zur Serie - Ihre Mithilfe ist gefragt 

Kölner, Berliner, Ruhrpottler – sie alle erkennen sich sofort am eigenen, unverwechselbaren Dialekt. Ausdrücke wie et kütt, icke, Frierpitter lassen sich eindeutig den entsprechenden Regionen zuordnen. Viele Sprecher kultivieren solche Wörter regelrecht, verleihen ihren eigenen Sätzen damit den unverwechselbaren Klang von Lokalkolorit. Die Mundart (Forscher sprechen korrekterweise vom Regiolekt) schwingt so in jedem Satz mit und gibt unmissverständlich zu verstehen: Da komm’ ich her, und ich bin stolz darauf!

Auch im Duisburger Süden gibt es einen ganz eigenen Dialekt: das Sermer Platt. Das aber droht zu verschwinden. Die Südredaktion schreibt in einer neuen Serie den Sprechern des örtlichen Platts nach dem Mund: Wir klären, was einen Dialekt ausmacht, wo er anfängt und endet, und was verloren geht, wenn er verstummt. Vielleicht gelingt es der WAZ und ihren Lesern zusammen ja, einige Worte zurück ins Gedächtnis zu rufen und so zu bewahren?

Dazu ist Ihre Mithilfe gefragt, liebe Leser: Welches Wort, welcher Ausdruck auf Sermer Platt spricht Ihnen aus der Seele? Haben Sie ein Lieblingswort? Welche Geschichte verbinden Sie damit? Sind Sie schon mal über einen Ausdruck gestolpert, der Sie neugierig macht auf seine Bedeutung und Herkunft? Die Redaktion freut sich auf Ihre Anregungen. Wir werden sie fortlaufend veröffentlichen und freuen uns, wenn am Ende dank Ihrer wortreichen Unterstützung eine Art kleines Wörterbuch des Platts im Duisburger Süden entsteht. Schreiben Sie uns Ihre Lieblingsworte an redaktion.du-sued@waz.de oder an die WAZ-Redaktion, Mündelheimer Straße 55. Sie erreichen uns auch unter 9358-13.