Wedau. Ein Pilotprojekt wird zehn Jahre alt: Acht Bewohner leben, kochen und lachen in Duisburgs erster Demenz-WG zusammen.
Heinrich würfelt. Nicht einmal, zweimal, nein, gleich dreimal. 21 Punkte! Gar nicht übel. Der Nächste ist dran. Ob Heinrich heute überhaupt zu schlagen ist? Von draußen scheint die Sonne rein, und drinnen geht das Leben weiter. Ortstermin in einer besonderen Wohngemeinschaft – der Demenz-WG, die vor zehn Jahren als Pilotprojekt in Duisburg gestartet ist. Und heute, heute wird Geburtstag gefeiert!
Acht Patienten in unterschiedlichen Stadien der Demenz leben da, wo der Masurensee an seine Ufer stößt. Ganz nah dran. Jeder von ihnen hat ein Zimmer, auf 16 bis 20 Quadratmetern sein Reich, mit den eigenen Möbeln, den vielen kleinen und größeren persönlichen Dingen. Das ist wichtig, schafft Halt in einer Welt für die, die ihn immer mehr verlieren. Der Veritas-Pflegedienst gründete mit dem Einzug des ersten Patienten am 15. März 2006 diese neue Form des gemeinschaftlichen Lebens und Versorgens – drei Wohnungen wurden damals zu einer, auf knapp 240 Quadratmetern.
„Das hier ist das Paradies. Für uns als Angehörige ist diese Form der Betreuung wie ein Sechser im Lotto“, sagt Heike Schobbenhaus. Ihr Vater Heinrich hat seit September ein neues Zuhause in der WG gefunden. Und blüht auf. Nicht nur beim Würfeln. „Ich bin beruhigt, wenn ich ihn alleine hier in seinen eigenen vier Wänden lasse. Ich weiß ihn einfach gut aufgehoben“, berichtet Heike Schobbenhaus weiter. Der ehemalige Hauptbrandmeister bei Mannesmann ist seit zwei Jahren an Demenz erkrankt. Ganz alleine leben, es geht nicht mehr. Doch hier, am See, da wird er wieder munter. Und kann noch ein Stück weit eigenständig leben.
Hier ist niemand „bettlägerig“
„Unsere Patienten sind immer alle mit unter uns, wir sind wie eine große Familie“, erklärt Birgit Lyx, Teamleiterin in der Demenz-WG. Das Wort „bettlägerig“ kennen sie alle nicht – weder die Patienten noch das Pflegepersonal. Hier wird niemand abgeschoben. Jeden Morgen werden alle Bewohner geduscht, gewaschen, ihnen wird frische Kleidung angezogen. Danach gibt es Frühstück in der WG-Küche, in der sich – wie es sich gehört – sowieso alles abspielt. Und dass Heinrich eben Heinrich ist und nicht Herr Schobbenhaus, hat ebenfalls seinen Grund. Besonders die dementen Damen würden sich irgendwann nicht mehr an ihre angeheirateten Namen erinnern können. Der Vorname bleibt. Und viel persönlicher ist es noch dazu.
Wie in einer WG so üblich, bereiten sie auch das Essen gemeinsam vor. Am Masurensee wird gekocht, gelebt, gelacht. Und wer kann, der soll sogar den Wocheneinkauf erledigen, in Begleitung. Dazu gibt es viele weitere Angebote in und außerhalb der WG-Wände. Mit Hingabe, sehr liebevoll und ganz individuell ist der Umgang, auch der Patienten untereinander. „Jeder schaut nach jedem“, weiß Birgit Lyx. Acht Pflegekräfte arbeiten 24 Stunden am Tag, an sieben Tagen in der Woche. Hinzu kommen zwei weitere Betreuungskräfte. „Sie alle sind es, die den Betrieb ausmachen“, betont Birgit Lyx. Sie sind ein Team. Etwas ist Birgit Lyx aber auch noch wichtig: „Wir sind hier Gast“, erklärt sie. Die Mieter, das sind die alten Menschen, das ist immer noch ihr Zuhause. Sie haben das Recht auf Privatsphäre. Einen Schlüssel zu den Zimmern haben nur die Angehörigen.
Heinrich darf noch einmal würfeln. Gesungen wird auch. Das Leben geht schließlich weiter, besonders und gerade für die acht Patienten in der Demenz-WG am Ufer des Masurensees.