Buchholz. . Sie tanzen wie Fußgänger, nur einer rollend. Dabei geht es genauso um Körperspannung, um Führen und Folgen. Ein Besuch beim Training

Eva Hassa sitzt nicht im Rollstuhl, sie tanzt. Linksdrehung, Kreisel, Chassee: Die Figuren des Langsamen Walzers bringt sie zusammen mit ihrem Mann und Tanzpartner Thomas in fließenden Bewegungen zum Drei-Viertel-Takt aufs Parkett. „Eigentlich ist das nichts Besonderes, was wir hier machen“, sagt Thomas Hassa. „Wir machen dasselbe wie die Fußgänger“ – „nur einer rollend“, ergänzt seine Frau. Und wieder er: „Der Rollstuhl ist für uns kein Hilfsmittel, sondern Sportgerät.“

Dabei entfaltet sich auf dem Parkett in den Figuren von Standard und Latein eine eben doch besondere Kombination von Physik und Ästhetik: Eleganz und Anmut des Tanzsports vereinen sich mit der Physik des Rollstuhls. Einfach drin sitzen, das reicht nicht zum Kombi-Tanz, wie der Sport der gemischten Paare von Fußgängern und Rolli, wie sie hier sagen, heißt.

Führen und Folgen

Ebenso wie bei zwei Fußgängern geht es auch hier um Körperspannung, um Führen und Folgen. Die Impulse, die von Thomas Hassas Händen in ihre und dadurch in ihre Arme fließen, leitet sie in ihre Hüften: ein für den Laien fast unsichtbarer Schwung aus Eva Hassas Hüfte, und ihr Rollstuhl dreht sich nach rechts oder links. Nicht umsonst hat das Paar nicht nur die Schritte und Kurven der Figuren gelernt, sondern auch die Gesetze der Hebelwirkung: „Wir haben Tipps von einem Ingenieur bei Thyssen bekommen“, verrät Thomas Hassa.

Kein Wunder, dass er findet: Tanzen mit einem Partner im Rollstuhl „ist schwieriger, anspruchsvoller“. Als Mann ist Hassa der, der führt; als Fußgänger muss er aber auch die Signale seiner Tanzpartnerin erfühlen: Der Rolli entscheidet, wie viel er oder sie drehen will; „ich biete nur eine stabile Unterlage“. Auch wenn eine Rumba ebenso auf Reifen getanzt werden kann wie ein Walzer oder ein Discofox: Sämtliche Figuren müssen angepasst werden; da werden aus Bewegungen in dieselbe Richtung gegenläufige Bewegungen, damit der Schwung des Rollstuhls auch tatsächlich direkt in die nächste Figur führen kann. „Nutzt den Schwung des Rollis aus“, predigt Hasse seinen Schützlingen immer wieder. Vor allem bei den Standard-Tänzen gilt: Bremsen ist nicht; Ausbremsen schon gar nicht, Rollstuhltanzen ist eine Vollgasveranstaltung.

Nur eine Hand für den Partner

Anders sieht es zu Latein-Klängen aus: Eva Hassas rechte Hand dreht quasi permanent am Rad; die vielen Figuren, bei denen das Paar sich öffnet, lassen ihr nur die linke Hand für den Kontakt zum Partner. Bei Rumba und Cha-Cha-Cha sieht auch der Laie, wie aktiv der Rollstuhlfahrer tanzt; bei Standard ist es andersherum: „Je besser der Rolli mitarbeitet, umso weniger sieht man’s“, sagt Thomas Hassa, „das ist ein bisschen gemein.“

Die beiden sind Deutsche Vizemeister im Rollstuhltanz; die Paare, die sie in der Sporthalle des BG-Klinikums unterrichten, kommen für ihr Hobby einstweilen ohne Physikunterricht aus. Hassa, in der Mitte der Paare tanzend, demonstriert eine neue Figur im Quickstep: Rück, Rück, Kreuz, vor, Seit, Schließen, Seit.

Ein paar Minuten konzentrierter Stille

Seine Schüler tun es ihm nach; erst einzeln, dann mit ihren Partnerinnen. Der Quickstep mit seiner Schnelligkeit ist schwierig; da muss mancher Herr aufpassen, dass er das Rück rechtzeitig setzt – sonst rollt ihm ein Reifen über den Fuß. Nach ein paar Minuten konzentrierter Stille klappt es, und Hassa macht die Musik an: „Soda Pop“. „Life hands you lemons, then sell lemonade“, singt Robbie Williams: Wenn das Leben Dir Zitronen gibt, mach’ Zitronenlimonade. Ein Motto, das passt: Wenn das Leben ihnen einen Rollstuhl gibt, tanzen sie halt damit.