Wenn es da einen "Totmann" gibt, geht gar nichts mehr
Eine Seefahrt, die ist lustig . . . Eine Seefahrt, die ist schön . . . Aber was ist so eine Seefahrt schon im Vergleich zu einer Straßenbahnfahrt durch den Duisburger Süden. Wenn sich die U79 von der Haltestelle Münchener Straße verabschiedet, wenn sie vom schattigen Hochbahnhof in die Sonne eintunkt, dann sitzt Lorenz Graf vorne in seinem Führerhäuschen freischwebend im Licht. Und mit Demokrit könnte der Duisburger übereinkommen, dass das einzig Beständige der Wandel ist. Bis auf die Spurenbreite. „Die ist geblieben”, zeigt Graf auf die Schienen. „1 435 mm seit 1881, als die erste Straßenbahn in Duisburg noch von Pferden gezogen wurde”, kommentiert er den Weg, der vor ihm liegt, der seiner Bahn und ihm Halt gibt. Das Leben hier, das ist eine Gerade. Geradewegs geht es Richtung Haltestelle „Sittardsberg” und dann immer weiter, „Mühlenkamp”, „St. Anna Krankenhaus”, „Kesselsberg” und „Froschenteich” sind die markanten Punkte dieses „Lebenslaufes”.
Es sind Anhaltspunkte im wahrsten Sinne des Wortes. Und natürlich gibt es auch Kurven. Scharfe sogar. „Da muss man auf Brombeerpflücker achten”, sagt der erfahrene Straßenbahnfahrer. Vor Graf (57) auf dem Armaturenbrett drängen sich weiße, blaue, rote, gelbe, grüne Knöpfe. Seine linke Hand hält einen Hebel. Das ist ein wichtiger Hebel, wie sich später noch zeigen wird. „Ich fahre seit 28 einhalb Jahren”, sagt der Duisburger.
Und er mache es immer noch gern. So gern, dass jede Fahrt wie die erste für ihn sei. Ach, es ist aber auch idyllisch. Diese goldenen Felder links. Das satte Grün rechts. „Wenn dann da die Flugzeuge hochgehen”, zeigt Graf schon Richtung Düsseldorf, „das sieht toll aus.” Ein bisschen böse meint er, der gebürtige Kärntener, der privat so gerne radelt, irgendwann: „Da wird wieder die Natur zu Grunde gerichtet.
Da bauen sie die A59 aus. „Was braucht eine U79 auch eine A59? Natürlich macht sich der DVG-Mitarbeiter so seine Gedanken, wenn er die Bahn, in die 500 Menschen passen, über die Schienen steuert. Apropos Menschen. „Es gibt 140 Nationen in Duisburg, da sind so viele unterschiedliche Menschen dabei”, überlegt er.
Als schlängele sich seine Bahn gerade jetzt wie eine Arche Noah der Nationen über die Schienen. Graf mag die Menschen. Hat sogar ein paar Brocken in verschiedenen Sprachen gelernt. Und Platz für Vorurteile gibt es indemengen Fahrerhäuschen nicht. Einmal hat Graf das Nostalgiefahrzeug gelenkt. Punker feierten wenn er die Bahn, in die 500 Menschen passen, über die Schienen steuert. Apropos Menschen. „Es gibt 140 Nationen in Duisburg, da sind so viele unterschiedliche Menschen dabei”, überlegt er.
Als schlängele sich seine Bahn gerade jetzt wie eine Arche Noah der Nationen über die Schienen. Graf mag die Menschen. Hat sogar ein paar Brocken in verschiedenen Sprachen gelernt. Und Platz für Vorurteile gibt es indemengen Fahrerhäuschen nicht. Einmal hat Graf das Nostalgiefahrzeug gelenkt. Punker feierten dort ihre Hochzeit. Mit einer dreistöckigen Hochzeitstorte, um deren Willen die Bahn extra langsam fahren musste.Und Graf lernte, dass auch Punker nette Menschen sind, die Hochzeitstorte essen.
Verändert hätten sie sich schon im Laufe der Jahre, seine Fahrgäste. Geiz ist scheinbar nicht nur im Falle von Discountern geil. Die Leute geizen auch mit Dank, hat er erfahren. Wenn er extra noch mal hält, um schnell jemanden einsteigen zu lassen, der da angehechtet kommt, um die Bahn noch zu kriegen, dann wird ihm das kaum noch gedankt. Seine Bahn rattert auch ohne Dank dahin. Auf bis zu 80 Stunden pro Kilometer bringt sie es unten, in der U-Bahn.
Da geht alles vollautomatisch. „Hier kann ich den Zug nicht mehr anhalten”, sagt Graf in die Dunkelheit hinein, hinein in eine Kakophonie quietschender Bremsen. Endstation. Düsseldorf Hauptbahnhof. Und hier passiert es, in jenem Bereich der beinahe Dunkelheitmit sanftem Neonglanz an grauen Wänden, in dem längst alle Fahrgäste ausgestiegen sind. Da gibt es einen „Totmann”, da klingelt es, da blinkt der weiße Stopp-Schalter. Da geht gar nichts mehr. Endstation Supergau. Totmann heißt es, weil genau das nach fünf Sekunden passieren würde, wenn Graf oben im Licht, wo nichts automatisch geht, zusammenklappte und eben jenen wichtigen Hebel los ließe, den Sollwertgeber.
Ein Kollege aus der Oberwelt muss kommen, muss helfen. Graf wechselt die Richtung, geht ins andere Fahrerhäuschen. Dann fährt die Bahn wieder. Fährt aus der Unterwelt, hinein ins Licht Richtung Duisburger Süden. Graf dürfte sich dabei anders als Orpheus ruhig umsehen, aber was würde er da hinter sich sehen: bloß eine Wand, während sich seine Bahn ratternd in die Welt vorarbeitet.
DVG-Geschichte
1881 kam es zum Vertragsabschluss über den Betrieb einer Pferdebahn
Und so fing in Duisburg alles an: Am 1. April 1881 kam es zum Vertragsabschluss über den Betrieb einer Pferdebahn von Duisburg nach Ruhrort. Am 22. Dezember fand die offizielle Eröffnungsfahrt statt. Offizieller Betriebsbeginn der Bahn war am 24. Dezember des Jahres. 1886 besiegelten die Stadt Duisburg und die Vertreter der Lokalbahn am 23. März einen Vertrag über die Einführung des elektrischen Fahrbetriebs. Es folgte eine Umstellung des gesamten Duisburger Verkehrsnetzes auf elektrischen Betrieb bis Ende 1898. Gleichzeitig fand eine Elektrifizierung des erweiterten Verkehrsnetzes statt.