Hüttenheim. . Jamal Alnouimi hat auf einmal sieben Kinder mehr: Seine Neffen sind aus Syrien geflohen. Doch die Ankunft in Deutschland gestaltet sich schwierig.

Zwei Zimmer seiner 3,5 Zimmer-Wohnung, 62 Quadratmeter, hat Jamal Alnouimi weitestgehend leergeräumt: Entlang der Wände liegen jetzt Matratzen, das Fußende der einen an das Kopfende der nächsten gedrängt, als suchten sie dort Zuflucht. Darunter hat Alnouimi in einer Hauruck-Aktion Teppichboden verlegt, damit es in den Winternächten nicht so kalt ist von unten. Sieben Kinder hat er letzten Monat bei sich aufgenommen: Sieben seiner Neffen aus Syrien, geflohen wie tausende, Zehntausende, hunderttausende aus dem Land von Diktator Assad. Sieben Kinder, die viel zu erwachsen wirken, wie sie da so sitzen auf ihren Matratzen: mit fragenden braunen Augen, einem schüchternen Lächeln und nichts im Gepäck als ihrer Hoffnung.

Den Krieg haben sie hinter sich gelassen und schleppen ihn doch mit sich herum: Der neunjährige Omran hat zwei Kugeln abbekommen, kreisrunde Narben an seinen Rippen und auf seiner Schulter erzählen Geschichten, die kein Kind kennen sollte. Die Eltern, zu krank, mussten sie zurücklassen auf der Flucht, sie können sie nicht in den Arm nehmen und trösten, da ist nur die Matratze, die sich an die nächste drückt. Sieben Kinder, für die der Krieg jetzt ebensoweit entfernt sein sollte wie die Heimat: tausende Kilometer. „Die haben Schlimmes erlebt – wann kommt das Trauma?“, fragt Horst Ambaum, der sich ehrenamtlich für die Familie engagiert – er weiß, dass der Krieg die meisten einholt; er kennt keine Distanz.

Familie bekommt zusätzliche Wohnung

Gute Nachrichten für die jetzt so viel größere Familie von Jamal Alnouimi gibt es von der Stadt: Eine weitere Wohnung im selben Haus „wird den Betroffenen zur Verfügung gestellt“, teilt Stadtsprecher Peter Hilbrands auf Anfrage der Südredaktion mit.

Für finanzielle Unterstützung sei bereits gesorgt: Vom Jugendamt beziehen Alnouimis Neffen Hilfe zum Lebensunterhalt und Krankenhilfe. Da es sich bei ihnen um sogenannte unbegleitete ausländische Minderjährige handelt, ist das Jugendamt zu dieser Unterstützung verpflichtet. Hilbrands erläutert: „Der Unterhalt berechnet sich auf Basis der Regelsätze nach dem SGB II. Die Regelsätze sind nach Alter gestaffelt.“

Möchten Verwandte wie Alnouimi ihre minderjährigen Familienangehörigen langfristig aufnehmen, müssen sie im Hinblick auf ihre Eignung als Pflegestelle geprüft werden. Ist die Eignung gegeben, ergibt sich daraus ein Anspruch auf einen Erziehungsbeitrag und Pflegegeld, das nach Alter gestaffelt wird. Zu Alnouimis Fall sagt Hilbrands so viel: „Das Jugendamt prüft derzeit noch abschließend die umfassenden Ansprüche.“

Obada (15), Fares (17), Bashar (16), Ali (15), Abdulrahman (12) und Omran (9) mit den Schusswunden sowie Mohamed (16): Seit gut einem Monat leben sie bei ihrem Onkel: Um die Schulzuweisung, erzählt er, kümmere sich das Jugendamt schon; um die Krankenversicherung nicht. Auch nicht um die Matratzen, klagt er, oder eine größere Wohnung, oder darum, dass Alnouimi seinen Neffen etwas zu essen kaufen könnte – er selbst lebt zurzeit von Arbeitslosengeld, davon füttere er jetzt sieben zusätzliche Münder durch. „Wir haben am Samstag eingekauft für 200 Euro, eine Spende der Kleiderkammer St. Stephanus. Die hatten ja nichts zu beißen“, erzählt Horst Ambaum. Dabei hat Alnouimi Anträge gestellt: „Ich war beim Jugendamt, beim Sozialamt, bei der Krankenkasse“, zählt er auf, der selbst in den 80er Jahren hierher floh. „Ich danke Deutschland für die Hilfe für Syrien“, sagt er. „Aber wie sollen wir leben?“

Diese Frage kann er im Moment nicht einmal für sich selbst und seine eigene Familie beantworten, die jetzt auf einmal so viel größer ist. Trotzdem ist es selbstverständlich für ihn, keine Frage, dass er die Sieben bei sich aufgenommen hat, auch wenn er sie vorher nicht einmal gesehen hatte: Sie sind die Söhne seines Bruders „das ist meine Familie“. Er zeigt auf einen der Jungen: „Der ist super in der Schule“, auf zwei weitere: „Die beiden im Sport“, sie sollen ihre Talente doch entfalten können.

Die Asylanträge sind gestellt

Die Asylanträge sind gestellt, und doch, es scheint nicht weiterzugehen, aus der Hoffnung wird allmählich schweres Gepäck, für die Kinder und für Deutschland: „Sie kommen von einem Problem ins andere.“ Dabei will und soll Deutschland doch kein Problem sein, sondern die Lösung. Jamal Alnouimi hilft. „Ich bin zwar der Onkel“, sagt er. „Aber jetzt sind sie alle meine Kinder.“