Süd. . Hochbegabung bietet Kindern viele Möglichkeiten, stellt aber auch eine Herausforderung dar. Ein Gespräch über Musik, Langeweile und Geheimschriften.

Im Mai wurde das Duisburger Kompetenzzentrum für Begabungs- und Begabtenförderung gegründet. Seitdem ist Anja Wardemann, Konrektorin der katholischen Grundschule Böhmer Straße, dort Ansprechpartnerin für Fragen rund um hochbegabte Kinder aus dem Duisburger Süden. Mit WAZ-Redakteurin Monique de Cleur sprach sie unter anderem über die Entdeckung des nächsten Einsteins, Langeweile und Geheimschriften.

Haben Sie schon den nächsten Einstein entdeckt?Anja Wardemann: Duisburg hat ganz viele begabte Kinder. Es gibt Kinder mit einer allgemeinen Begabung, es gibt Kinder mit einer Inselbegabung in einem bestimmten Bereich wie der Mathematik oder Sprache. Den höchsten IQ, der mir in Duisburg in den letzten Monaten begegnet ist, hatte ein Kind mit 156 (siehe Infokasten).

Nur zwei Prozent sind hochbegabt

Als durchschnittlicher Intelligenzquotient (IQ) gilt allgemein ein Wert von 100. Hochbegabt sind Menschen, die im IQ-Test einen Wert von 130 oder höher erreichen. Nur zwei Prozent haben einen IQ von mindestens 130.

Ein IQ von 156 ist annähernd vergleichbar mit dem von Albert Einstein oder Stephen Hawking: Beiden Physikern wird ein IQ von 160 zugeschrieben. Einen entsprechenden Test absolviert haben sie aber nicht; es handelt sich um eine Schätzung.

Wie fördern Sie Hochbegabte?
Die Kinder kommen hier hin und sagen: Mir ist langweilig. Viele fühlen sich ausgebremst. Es gibt hochbegabte Kinder, die sich aus Langeweile eine Geheimschrift ausdenken, mit der sie die Klassenarbeit lösen. Wir zeigen den Eltern auf, was man tun kann, vermitteln zum Beispiel ein Musikinstrument. Kinder, die in der Schule nicht ausgelastet sind, haben oft Freude daran, sich in andere Bereiche einzuarbeiten. Das kann auch eine Sprache wie Chinesisch sein: etwas ganz Fremdes, das eine Herausforderung ist.

Warum hilft ein Musikinstrument?
Man muss vielleicht an einer schwierigen Stelle mal länger üben und trainiert dadurch seine Fehlertoleranz. Gerade, wenn man alles kann, muss man lernen, mit Misserfolgen umzugehen. Hochbegabte Kinder müssen auch Lernstrategien entwickeln, sonst können sie ihre Begabung später nicht entwickeln. Wenn sie nie gelernt haben zu lernen, wird es schwierig; denn Lernen ist das, was später in hohe Leistung umschlägt.

Verkümmert die Begabung, wenn das Kind nicht entsprechend gefördert wird? Begabung entsteht durch Anlage und Umwelt. Je mehr Förderung angemessener Art ich erhalte, desto besser kann ich meine Potenziale ausschöpfen. Mädchen verstecken ihre Begabung gerne mal; Jungen zeigen dafür oft ein Verhalten, das Gruppenabläufe stört: Sie stehen auf oder reden die ganze Zeit. Da wird eher mal an ADHS gedacht als an eine Hochbegabung.

Wann sollte ich mein Kind testen lassen?
Wenn ein begabtes Kind in der Schule zufrieden ist, braucht man nicht zu testen. Man kann auch ohne Test eine Klasse überspringen. Erstmal sollte man das Kind in der Schule fördern, soweit es geht. Sinn ergibt ein Test, wenn Handlungsbedarf besteht. Aussagekraft hat ein IQ-Test aber erst ab ungefähr sechs Jahren.

Was bedeutet die Hochbegabung ihres Kindes für die Eltern? Es ist eine Herausforderung. Wenn das Kind eine hohe sprachliche Begabung hat, diskutiert es vielleicht den ganzen Tag mit den Eltern und wickelt sie sprachlich schnell um den Finger. Problematisch kann auch die Erwartung sein, dass das Kind in allen Bereichen hochbegabt ist, so dass man es überschätzt. Dabei kann es sein, dass es emotional und sozial noch nicht so ist wie kognitiv. Aber eine Hochbegabung ist nichts, wovor man Angst haben müsste. Trotzdem gibt es bei Eltern eine Hemmschwelle zu fragen, ob ihr Kind hochbegabt ist. Der Streber ist in unseren Köpfen präsent. Aber die Förderung von Hochbegabung gehört in Zeiten von Inklusion dazu.