Ehingen. . Wüstenbussard Harry erlernt seinen Job mit einer Lockschnur. Wird es ernst, kommt sie ab – und Harry entscheidet, ob er zu seinem Besitzer zurückfliegt.

Andere halten sich einen Wellensittich als Haustier. Karl-Heinz Dietz liebt seine Vögel ein paar Nummern größer, wilder und mit schärferen Klauen: Zurzeit bildet der Hobbyfalkner einen Wüstenbussard aus. Dieser Greifvogel lebt in freier Wildbahn im westlichen Amerika, bis herunter nach Patagonien. Er erreicht eine Flügel-Spannweite von bis zu 1,20 Metern und ein Gewicht von bis zu einem Kilogramm.

Federleicht fühlt sich Harry an, als er auf meinen Handschuh hüpft. Anfassen durften ihn zwar schon Kindergartenkinder, mir aber erlaubt er das nicht: Als ich die andere, unbehandschuhte Hand ausstrecke, krächzt er und hüpft unruhig höher bis zu meinem Ellbogen. „Er ist jetzt ärgerlich“, sagt Dietz. Dieser Warnung hätte es nicht bedurft: Harrys Krächzen und Körpersprache sind eindeutig. Ich entspanne mich erst, als Dietz wieder Abstand zwischen Harrys Schnabel und meine Augen bringt.

Auch wenn Harry mit seinen zwei Jahren ein zahmer Vogel ist: Er bleibt ein wildes Tier, ausgestattet mit den Waffen und dem In­stinkt eines Jägers. Wenn er fertig ausgebildet ist, wird er mit seinem Besitzer auf die Jagd gehen. Bis dahin hat er noch ein paar Monate Training vor sich. So wie heute.

Eintagsküken als Belohnung

„Geh’ auf Deine Stange“, kommandiert Dietz. Gemächlich fliegt der Vogel ein paar Meter weiter und landet. Zurück geht’s per „Komm“. Wobei Harry eher auf Dietz’ Körper hört als auf seine Stimme: Die Kommandos begleitet der Vogelkenner mit Bewegungen; soll Harry fliegen, wirft er ihn in die Luft; soll er zurückkommen, hält er ihm eine Belohnung hin – Eintagsküken. Sobald das Tier satt ist, endet die Lektion. Das macht Harry unmissverständlich deutlich.

Jetzt, zum Üben, ist eine 20 Meter lange Lockschnur an Harrys Beinen befestigt: Ausbüxen ist nicht. Im Oktober, wenn Harry in seine erste Jagdsaison abhebt, wird ihn die Schnur nicht mehr an seinen Besitzer binden. „Irgendwann müssen wir’s wagen“, sagt der. „Zum Jagen muss er frei sein.“ Das Risiko, dass Harry sich mehr Freiheit rausnimmt, als von Dietz gedacht, muss er in Kauf nehmen.

Einstweilen sitzt Harry auf Dietz’ Hand und krächzt einen Hund aus, der mit seinem Frauchen an den Rheinauen Gassi geht. Kein Wunder, dass er ihn nicht mag: In freier Wildbahn zählen Kojoten zu den größten Feinden der Wüstenbussarde. Ein paar Minuten später hat er sich beruhigt. Eine leichte Neigung seines Kopfes verrät, dass er wieder etwas entdeckt hat. Dietz folgt seinem Blick und erspäht einen Bussard am Himmel. „Beobachte einen Greifvogel und Dir entgeht kein Vogel.“

Harrys scharfe Sinne werden auch bei der Jagd von Nutzen sein. Karl-Heinz Dietz richtet ihn auf Kaninchen ab. Was Harry fängt, soll zu Hause in der Pfanne landen, sinnloses Töten ist nicht Dietz’ Sache. „Ich jage mit ihm nicht wegen der Beute – mich interessiert die Ar­beit mit dem Vogel.“ Davon hat er noch viel vor sich: Wüstenbussarde in Gefangenschaft werden bis zu 20 Jahre alt.