Wanheim. . Vier Schulen im Duisburger Süden unterhalten Auffangklassen für Kinder von Asylbewerbern. Am Anfang sprechen sie kein Wort Deutsch.

Tschetschenien, Kasachstan, Rumänien, Marokko, Syrien, Libanon. Fast eine kleine Weltkarte. Eine Karte der Heimatländer jener Kinder, die die Auffangklasse der Grundschule Am Tollert besuchen. Manche leben seit ein paar Wochen in Deutschland, andere seit zwei Jahren. Mit ihren Eltern zusammen sind die meisten aus ihren Heimatländern geflohen; aus Angst vor Unterdrückung oder Verfolgung, in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland. Teil dieses Lebens ist die Schule. Und so sitzen an diesem Morgen knapp 25 Schüler in der Grundschule in Wanheim und lernen: Deutsch, Mathe, und vor allem – sich zurechtzufinden in dem neuen, fremden Land.

„Wir hatten hier schon Kinder aus Somalia und Afghanistan, Hochbegabte und Kinder, die nicht lesen und schreiben konnten“, sagt Johanna Jakoby. Aus welchem Land das Kind auch kommt, was es dort auch erlebt hat, das Ziel der Lehrerin ist dasselbe: Nach der Grundschule sollen die Kinder auf eine weiterführende Schule wechseln, am besten in eine Regelklasse. Die Normalität beginnt am ersten Schultag der Jungen und Mädchen: Zumindest in Sport, Musik und Kunst sind sie alle Regelklassen zugeordnet – die Sprache der Bewegung, der Töne und des Pinsels versteht jedes Kind, auch ohne Deutschkenntnisse. Fach für Fach werden die Grundschüler weiter in ihre Regelklasse inte­griert. Unterricht in der Auffangklasse haben sie in den verbleibenden Stunden.

100 gibt es stadtweit

Zurzeit gibt es Auffangklassen im Duisburger Süden in den Grundschulen Wanheim, Am See und Beim Knevelshof, außerdem in der Realschule.

53 Kinder besuchen diese Auffangklassen.

Im gesamten Stadtgebiet sind es 1229 Kinder aus 56 Nationen, die in eine der insgesamt 100 Auffangklassen gehen.

Nach zwei Jahren in Deutschland spricht Sakira, acht Jahre, gut Deutsch. Mathe ist ihr Lieblingsfach, „und Lesen“. Für sie ist Deutschland nicht mehr einfach nur ein fremdes Land. „Hier ist besser als Kosovo“, sagt sie. Was ihre Eltern mit ihr und den Geschwistern in die Flucht getrieben hat, fasst sie in schlichte Worte: „Da haben uns die Leute geschlagen, weil sie unser Haus wollten.“ Zurück möchte sie nicht mehr: „Ich will in Deutschland bleiben.“

Die meisten Kinder sind ständig von Abschiebung bedroht

Ein Wunsch, der sich für Sakira wahrscheinlich nicht erfüllen wird. Wie die meisten ihrer Mitschüler ist auch Sakira das Kind von Asylbewerbern. Viele Anträge werden abgelehnt. „Die sind immer alle von Abschiebung bedroht“, weiß Jakoby. Gedanken, die die Kinder zur Seite schieben, um Platz zu schaffen für Deutsch und Englisch, Mathematik und Sachkunde. Oft aber werden ihre Träume von der Politik eingeholt. „Das ist das Schlimmste“, sagt Jakoby, wenn die Kinder zurück müssen in ihre Herkunftsländer, die oft nicht mehr ihre Heimatländer sind. Die meisten aber müssen. „Bis auf die aus dem arabischen Sprachraum werden alle gehen müssen“, fürchtet Jakoby. Sie spricht aus Erfahrung: Die Auffangklasse leitet sie seit dreieinhalb Jahren. Sie hat schon viele Kinder gehen sehen.

Selina kommt an den Tisch der Lehrerin, sie soll ihre Rechenaufgaben überprüfen. Wo Fehler sind, zeigt Jakoby mit den Fingern die Zahl an. Selina zählt auf Mazedonisch mit, dann übersetzt sie. „Vier.“ Die ungewohnte Sprache klingt heiser, Selina ist noch nicht lange hier. Ohne ein Wort Deutsch zu können, fangen die Kinder in der Auffangklasse an. Wie heißt Du? Woher kommst Du? Die Antworten auf diese Fragen werden zu den ersten Sätzen, die sie auf Deutsch sprechen. Mit Geschichten geht es weiter: Die Kinder spielen Szenen nach, die sie aus ihrem Alltag kennen: Mit dem Bus fahren, einkaufen gehen. Sprechblase für Sprechblase kommt Text dazu, mit der Geschichte wächst der Wortschatz.

Bedixar, Sakiras Schwester, hat das Ziel der Auffangklasse erreicht: Nach den Sommerferien wechselt sie auf die Gesamtschule, nach kurzer Eingewöhnungszeit in einer Seiteneinsteigerklasse wird sie in eine Regelklasse gehen. Ihr Zeugnis und ihr Deutsch eröffnen ihr den Weg dorthin. Ob und wie lange sie ihn beschreiten kann, entscheidet die Politik.