Duisburg. . 20 Jahre lang hat Helmut Ließmann in der DDR gelebt. Von 1956 bis 1975. In Duisburg-Rahm lebt er seit 16 Jahren. Die Illusion eines “dritten Wegs“ der DDR hatte er 1968 nach dem niedergeschlagenen Prager Frühling verloren. Anlässlich des Jahrestags des Mauerfalls vor 25 Jahren blickt er zurück.
Der 9. November, der Tag, an dem die Berliner Mauer fiel, bleibt auch 25 Jahre danach ein besonderes Datum für Helmut Ließmann. Die untergegangene DDR hat das Leben des 75-Jährigen geprägt. Geboren in Bad Lauterberg im Harz hat er fast 20 Jahre, von 1956 bis 1975, bis zu seiner Ausreise in den Westen in Sachsen gelebt. Aus Rahm, dort ist er seit 16 Jahren zu Hause, blickt er zurück auf sein deutsch-deutsches Leben.
Ließmanns Vater Fritz, ein Tischler und überzeugter Kommunist und verfolgt von den Nationalsozialisten, war schwer verwundet aus dem Russland-Feldzug zurückgekehrt, als ein einziger Sohn 1946 eingeschult wurde im Harz-Dörfchen, nur wenige Kilometer weg von der Grenze der sowjetisch besetzten Zone. Der Vater habe die Kontakte gepflegt zu den Kampfgefährten im Osten. So ging Helmut Ließmanns Wunsch, Schriftsetzer zu werden, auf der anderen Seite der damals noch offenen Grenze in Erfüllung, nachdem er 1956 mit 16 Jahren die Mittelschule verlassen hatte. „Mein Vater hatte gute Beziehungen, als ich ihn auf eine Reise nach Dresden begleitet habe, bekam ich das Angebot. Mir hat es dort gut gefallen“, erinnert er sich.
Regelmäßige Besuche vor dem Mauerbau
Auch ohne Abitur konnte er nach der Ausbildung die Polytechnische Oberschule besuchen, danach als Lehrer für Mathematik und Physik in Heidenau bei Dresden unterrichten. „Im Westen wäre das für mich kaum möglich gewesen“, glaubt der 75-jährige. Bis 1960 habe er kaum das Gefühl gehabt, in einem anderen Staat zu leben. „Ich konnte regelmäßig meine Familie im Harz besuchen.“
Ostern 1961 sah er sein Heimatdorf zum vorerst letzten Mal – wenige Monate später wurde die Mauer gebaut. „Ich habe erstmal weitergemacht und gehofft, dass es nicht lange dauert“, erinnert er. Vielleicht wären ihm Westreisen weiter erlaubt worden, vermutet er. „Wenn ich in die Partei eingetreten wäre. Aber das wollte ich nicht. Ich war immer jemand, der nicht den Mund hält.“
Die Illusion, dass ein „dritter Weg“ zwischen westlichem Kapitalismus und Sowjet-Sozialismus in der DDR möglich sein könnte, habe nicht nur er 1968 nach der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstands in der Tschechoslowakei verloren: „Da war der Ofen aus, die Regierung hatte sämtliches Vertrauen verspielt.“
Der DDR den Rücken zugekehrt
Helmut Ließmann beschloss, der DDR den Rücken zu kehren, verabschiedete sich unter dem Vorwand einer Krankheit aus dem Schuldienst und verdingte sich bei der Post in Chemnitz. „Wenn ich als Lehrer einen Ausreiseantrag gestellt hätte, wäre ich am nächsten Tag raus gewesen.“ Die deutsch-deutsche Annäherung durch die Ostpolitik von Willy Brandt machte ihm Mut, den Antrag zu stellen, der am 17. Juni 1975 – seinem Geburtstag, genehmigt wurde. Repressalien habe er durch seinen Ausreisewunsch nicht erfahren, sagt der Rahmer. Möglich, dass die Beziehungen des Vaters, der noch lebte, ihm halfen. „Ob man mich freigekauft hat? Ich weiß es bis heute nicht.“
Dass die Behörden alles über ihn wussten, das erfuhr er in den „Gesprächen“ vor seiner Ausreise. Auch danach, berichtet Helmut Ließmann, sei er noch mehrfach zu Besuch bei Freunden in der DDR gewesen: „Manchmal hat man mich reingelassen, manchmal nicht.“
Mauerfall im Heimatort erlebt
Weil er Düsseldorf aus dem Besuchen bei einem Onkel kannte, zog er an den Rhein, fand eine Anstellung als Erzieher bei der Graf-Recke-Stiftung in Kaiserswerth, wo er 24 Jahren lang bis zum Beginn seines Ruhestandes im Jahr 2001 tätig war. Den Mauerfall erlebte er in Bad Lauterberg, seinem Heimatort. „Ich habe mich gefreut für meine Freunde und Bekannten“, sagt er. Entscheidend, glaubt er, waren aber die Massenproteste der Menschen am 9. Oktober. „Deshalb sollte das auch unser Nationalfeiertag sein“, findet Helmut Ließmann, „aber da waren ja keine Politiker und Beamten dabei.“