Marxloh.
Der 2. August 1914, heute vor 100 Jahren, ist ein Sonntag. Im vornehmen „Sonntagsstaat“ drängen sich viele Hamborner vor dem Schaufenster des „General-Anzeigers“ an der heutigen Weseler Straße. Am Vortag hat Deutschland Russland den Krieg erklärt. Jetzt verkündet Kaiser Wilhelm II. die Generalmobilmachung der Armee. Der Text seines Befehls hängt im Schaufenster aus.
Vorausgegangen war am 28. Juni das Attentat auf den österreichischen Thronfolger in Sarajevo in Bosnien-Herzegowina, das von Österreich annektiert war. Danach scheiterten alle diplomatischen Bemühungen, die Krise friedlich zu lösen.
40 Jahre lang kein Krieg
„Über 40 Jahre lang“, gibt der Hamborner Heimatforscher Hans-Joachim Meyer zu bedenken, „hatte es für Deutschland ja keinen Krieg mehr gegeben.“ Es gibt also kaum persönliche Kriegserfahrung. Nur die Generation der Großväter weiß noch davon zu berichten. Gleichzeitig steht alles Militärische, alles Uniformierte in Deutschland damals in höchstem Ansehen. Der ranghöchste Uniformträger ist der Kaiser selbst. Kriegsbegeisterung bricht aus.
Die Lokalpresse berichtet damals: „Überall gingen die Wogen der Begeisterung hoch. Musikkapellen spielten patriotische Weisen und das Publikum sang mit. Stehend wurde hie und da die Nationalhymne angestimmt.“
Bedenkenträger sind rasch isoliert. Die sozialdemokratische Führung steht bald alleine da. „Auch in der Arbeiterschaft“, so Meyer, „überwiegt die Kriegsbegeisterung. Viele können ihre Einberufung kaum erwarten.“ Euphorisch werden die Kriegsaussichten diskutiert.
25.000 junge Hamborner einberufen
Die Einberufung lässt für fünf Millionen junge Männer nicht lange auf sich warten. Hamborn mit seiner sehr jungen Bevölkerung erweist sich dabei als besonders ergiebig. Hans-Joachim Meyer: „Im Laufe des Krieges werden 25 000 junge Männer, das sind 40 Prozent der männlichen Bevölkerung, eingezogen.“ Das sei die unter allen deutschen Städten im Verhältnis zur Bevölkerung höchste Quote. 2000 von ihnen kehren nicht zurück. Eine Gedenktafel im Rathaus zählt die Namen jener 87 Mitarbeiter der Stadtverwaltung auf, die den Krieg nicht überlebt haben.
Von Beginn an wird die wichtige Eisenbahnbrücke bei Haus Knipp von Truppen bewacht. In den drei Hamborner Krankenhäusern, St. Barbara in Neumühl, St. Johannes und Morian-Stift in Alt-Hamborn, werden bald 875 Lazarettplätze eingerichtet, für Verwundete und für die ersten Kriegsgefangenen. Auf dem Nordfriedhof sind rund 200 von ihnen begraben. Am 12. August wird in Hamborn ein Kriegsausschuss eingerichtet. Er koordiniert Zivilmaßnahmen wie Sammlungen für die Verwundeten oder für Angehörige von Gefallenen.
Die Stimmung schlägt um
Aus dem erhofften erfolgreichen Blitzkrieg gegen Russland und Frankreich wird nichts. Der Krieg zeigt bald seine Schattenseiten. „Ab Januar 1915“, berichtet Hans-Joachim Meyer, „werden Mehlvorräte beschlagnahmt.“
Die Bezugskarte auf Brot wird eingeführt. Nach und nach wird die gesamte Grundversorgung der Bevölkerung zwangsbewirtschaftet. Wohlfahrtsverbände wie das Rote Kreuz und der Vaterländische Frauenverein organisieren Sammlungen, um die Frontsoldaten mit „Liebesgaben“ zu versorgen.
„Offenbar geht man schon kurz nach Kriegsbeginn nicht mehr davon aus, den Krieg mit den eingezogenen fünf Millionen Soldaten gewinnen zu können“, sagt Meyer. „Denn auch in Hamborn wird eine so genannte Jugendwehr gegründet, hält eine vormilitärische Ausbildung in den Schulen Einzug.“ Der Stand der Kriegshandlungen wird fester Bestandteil des Schulunterrichts. Angesichts der bald einsetzenden Verknappung wird die Uniform der Jugendwehr ein begehrtes Kleidungsstück.
Schon bald zeigt sich erste Unzufriedenheit der Hamborner mit der Lage. Im August 1915, ein Jahr nach Kriegsbeginn, demonstrieren bereits einige hundert Frauen für mehr Kriegsunterstützung. Die Unzufriedenheit wird bald explodieren.