Duisburg-Marxloh. .

Über den Sozialstaat Deutschland diskutierten Präses Nikolaus Schneider und Professor Dr. Michael Rüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, in der Marxloher Kreuzeskirche vor rund 200 Zuhörern .

Die Mehrheit der Deutschen hat Angst um die Zukunft des Sozialstaats, befürchtet, dass die Abgabenlast an Steuern und Sozialabgaben in den kommenden zehn Jahren stark zunimmt, erwartet, dass das Leistungsniveau für Alte, Kranke und Arbeitslose bis 2021 abnimmt. Das sind die Kernaussagen einer aktuellen Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Vor diesem Hintergrund diskutierten Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland und Professor Dr. Michael Rüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, in der Marxloher Kreuzeskirche vor rund 200 Zuhörern über die Zukunft des deutschen Sozialstaats.

Ja, der deutsche Sozialstaat habe eine Zukunft, aber er müsse sich zukunftsfähig machen, dabei die Fehler der Vergangenheit wie etwa bei der Hartz IV-Reform vermeiden. Insgesamt sei die 30-jährige Tradition des Sozialstaats eine Erfolgsgeschichte. Da waren sich die Diskutanten einig.

„Ich glaube weiter an den Sozialstaat“, bekannte Schneider. „Ich lasse mir den Sozialstaat auch nicht schlecht reden. Für mich ist er nicht allein aus pragmatischen Gesichtspunkten wichtig, sondern auch aus meinem christlichen Menschenbild heraus. Das heißt: Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch eine unveräußerliche Würde hat. Er ist Gottes Geschöpf.“ Diese Würde zu bewahren sei sowohl Aufgabe und Verantwortung des Individuums als auch der Gemeinschaft. Rüther sah es so: „Die soziale Marktwirtschaft fordert die Verantwortungsfähigkeit des Einzelnen für sich selbst und die Mitverantwortungspflicht der Gemeinschaft.“

Das Oberhaupt der evangelischen Kirche, das aus Rheinhausen stammt und den historischen Kampf der Arbeiter im Krupp-Hüttenwerk 1987/88 miterlebte, erinnerte an die Verdienste des deutschen Sozialstaats. Dem Sozialsystem sei es z.B. bei den Entlassungswellen von Tausenden Stahlarbeitern gerade im Ruhrgebiet gelungen, diese Arbeiter so sozial abzusichern, dass sie nicht ins Bergfreie fielen. Rüther dazu: „Natürlich verschwinden immer wieder Unternehmen und Branchen vom Markt. Dafür bietet das System dann aber auch wieder Alternativen.“ Sprich: neue Unternehmen und neue Jobs.

Von einer Krise des Sozialstaats mochten daher weder Schneider noch Rüther sprechen, eher von einer gefühlten Verunsicherung oder Irritation in der Bevölkerung. Dafür gebe es klare Gründe. Schneider führte den Wandel von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft in Zeiten der Globalisierung an, dazu „rasante technologische Veränderungen, die viele Arbeitsplätze überflüssig machen“. Die Wertschätzung des einzelnen Arbeitnehmers sei bei diesen Entwicklungen völlig in den Hintergrund getreten, so Schneider. Er sprach von einer Verrohung der Sitten in der Arbeitswelt.

Rüther bestätigte: „Natürlich gibt es in diesem System Spielräume für Ausbeutung.“ Aber von einer neuen Ruppigkeit in der Arbeitswelt wollte der Kölner Ökonom nicht sprechen: „Wenn Märkte wegbrechen, müssen Unternehmen reagieren.“

Einig waren sich Schneider und Rüther in der von Asli Sevindim, gebürtige Marxloherin und bekannte WDR-Moderatorin geleiteten Diskussion, dass bei den Hartz-V-Reformen die flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen vergessen wurde: Diese seien aber unerlässlich, damit Arbeitnehmer ihre Familien vernünftig ernähren könnten.