Duisburg-Marxloh. .
Sophie Scholl wäre gestern 90 Jahre alt geworden. Sie könnte heute zufrieden auf ein erfülltes Leben zurückblicken. Längst hätte sie ihre Kinder groß gezogen, würde heute mit ihren Enkeln sprechen und mit ihren Urenkeln spielen.
Aber es ist anders gekommen, ganz anders. Denn mit 21 Jahren war ihr Leben schon zu Ende. Am 22. Februar 1945 um 17 Uhr ließen die Nazis die mutige deutsche Widerstandskämpferin aller Zeiten brutal enthaupten. Ihr „Verbrechen“: Sophie Scholl stand für Menschlichkeit, für Frieden, für Freiheit. An ihrem 90. Geburtstag gedachten gestern Lehrer und Schüler des Sophie-Scholl-Berufskollegs in Marxloh in der Aula der Namensgeberin ihrer Schule.
Doch wie nähert man sich dieser Lichtgestalt der deutschen Geschichte, einem Menschen, der auch in Zeiten der Barbarei und Verrohung anständig geblieben ist, mutig mit anderen Mitgliedern der studentischen Widerstandsbewegung „Weiße Rose“ mitten im Zweiten Weltkrieg Tausende von Flugblättern gegen Hitler, die Nazis und den Krieg verfasst, gedruckt und verteilt hat, unter Einsatz ihres Lebens?
Nicht mit Festreden, Ansprachen und Vorträgen, nicht kognitiv-sachlich, sondern ganz emotional und unterhaltsam, mit Liedern, Tänzen und Theater...
So berührten die bildhaften Szenen des Theaterstücks „Du bist mein Spiegel“, das die Klassen E 10 und E 29 mit Regisseur Kemal Demir („Marxloher Theatertage“) seit Oktober einstudiert hatten, jeden der rund 500 Zuschauer. In der Aula war es sehr still, sehr beklemmend...
Deutschland 1930: Ein Zeitungsjunge rennt durch die Reihen in der Aula, verkündet Inflation, Hunger und Massenarbeitslosigkeit. Er will für sein „Extrablatt“ 30 000 Reichsmark pro Ausgabe.
Deutschland 1933: Machtergreifung, das Ende der Weimarer Republik, Hitler hält seine Antrittsrede. Er pöbelt, hetzt gegen Juden, polemisiert gegen „Volksschädlinge“. Die Zuschauer sehen nur seine schwarzen Umrisse - und die Konturen der Menschen die dem „Führer“ zujubeln, den rechten Arm zum Hitlergruß hochreißen. Hitler schreit - der Gruseleffekt stellt sich schnell ein, denn es ist ein Mitschnitt der Originalansprache. Jetzt ist es wirklich mucksmäuschenstill im Saal. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Grün-braune Stofffiguren marschieren auf der Bühne, rhythmisch, militärisch stampfend. Ohrenbetäubende „Rammstein“-Musik dröhnt. Dann treten rote Stofffiguren auf, die Kommunisten und Sozialdemokraten. Sie versuchen, Widerstand zu leisten, doch am Ende ringen die grün-braunen Stofffiguren sie nieder, verhaften und sperren sie ein. Da beginnt der Krieg...
Deutschland 1942: Zurück zur Leinwand neben der Bühne, auf der sich jetzt scharfe Schattenbilder abzeichnen: Dort tippt ein Mann, Sophies Bruder Hans, auf einer Schreibmaschine Flugblatt für Flugblatt, verteilt das Papier an eine Gruppe von jungen Leuten. Die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ bei der Arbeit. Jetzt bewegen sich die Mitglieder der „Weißen Rose“ auf der Bühne als weiße Stofffiguren, wie im Untergrund, behutsam, umsichtig, tastend, vorsichtig. Mitten drin: Sophie Scholl. Doch dann umzingeln die Grün-Braunen die Weißen. Alle werden verhaftet, ermordet. Das Grauen ist greifbar. Und den Schülern steht der Schrecken ins Gesicht geschrieben.