Auschwitz. Auf Exkursion in Polen sehen die Jugendlichen die Verbrechen von Nazi-Deutschland. Ein sehr persönlicher Reisebericht von Katharina Hetkamp.

Die Schülerinnen und Schüler des Abtei-Gymnasiums laufen durch die dunklen bedrückenden Räume von Block 5 des ehemaligen Vernichtungslagers in der polnischen Stadt Oświęcim, weltweit berüchtigt unter dem deutschen Namen Auschwitz.

Wir haben Februar, es ist kalt und es zieht in den alten Backsteinhäusern. Meine Mitschüler und Lehrer bleiben wie angewurzelt stehen, als sie bemerken, was links von ihnen zu sehen ist. Hinter einer Glaswand sieht man einen riesigen Haufen Haare. Wer sich von dem Schock erholt hat, geht weiter und passiert riesige Haufen von zerbrochenen Brillen, alten Koffern und Schuhen, Haushaltsgegenständen und Kleidung.

Detailliert durchgeplanter Massenmord

Dinge die den todgeweihten Gefangenen im durchgeplanten-Massenmord-Lager des Dritten Reichs direkt nach ihrer Deportation nach Auschwitz abgenommen worden waren. Tränen fließen in der Gruppe, die Hände zittern, Wut, Verzweiflung und Trauer kochen in uns Hamborner Gymnasiasten hoch.

Wir, das sind 20 Schüler der zwölften Klasse und drei Lehrer des Abtei-Gymnasiums flogen, unterstützt von der Konrad-Adenauer-Stiftung nach Polen. Ich, Katharina Hetkamp, Freie Mitarbeiterin für diese Zeitung und Autorin der Abtei-Schülerzeitung, war auch dabei.

Wir alle haben Geschichte als Fach in der Oberstufe, kennen die wichtigen Daten und Zahlen. Doch ahnen wir nicht, was uns in Polen erwartet.

Die Fabrik des Menschen-Retters Oskar Schindler

Am ersten Tag besuchten wir Krakau. Eine Stadt, in der vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges jeder vierte Bürger jüdisch war. Besuch im jüdischen Viertel, das ehemalige Ghetto und die Fabrik von Oskar Schindler, der während des Krieges etwa 1200 bei ihm angestellte jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordung in den Vernichtungslagern bewahrte. Furchtbare Lebensumstände für die Menschen im Ghetto waren es. Erste Tränen fließen in einer eigentlich wunderschönen Stadt.

Tags darauf die Fahrt nach Auschwitz. Laufen unter dem „Arbeit-macht-frei“-Bogen. Vorbei an Galgen, an denen einst unschuldige Menschen baumelten. Vorbei am furchtbaren Krematorium und durch die Baracken.

Unvorstellbare Gräueltaten werden in Schaukästen und Infotafeln beschrieben. Besuch der Bilderausstellung des Künstlers David Olère, der Auschwitz überlebte und in seinen Bildern zu verarbeiten suchte. Besuch der Ausstellung „Shoah“ des Yad-Vashem-Instituts aus Israels Hauptstadt Jerusalem.

Starren in die Leere

Nach drei Stunden wird es dunkel, jeder Besucher will nur noch weg. Viele weinen, andere fühlen sich leer, wiederum andere versuchten ihre Eindrücke zu verarbeiten und das Erlebte zu verstehen. „Ich bin ein rationaler Mensch, aber das was wir da gesehen haben, kann man nicht rationalisieren. Das alles hatte keinen Sinn“, sagt eine Teilnehmerin, „wir haben gerade in die Abgründe der Menschheit gesehen.“. Im Bus ist es still. Einige von uns unterhalten sich leise über den Ausflug. Die meisten starren still in die Leere.

Am nächsten Morgen „Zeitzeugengespräch“. Treffen mit einer Frau, die als Kind mit vier Jahren nach Auschwitz verschleppt wurde. Sie überlebte das Grauen und wurde von der roten Armee befreit. Sie zeigt die tätowierte Häftlingsnummer am Arm, wir sind entsetzt. Deutsche Bürokratie, Ordnung muss sein. Auch beim Massenmord. Sie erzählt, dass sie ihre Großeltern vor dem Zug das letzte Mal sah. Sie starben in den Gaskammern, ebenso wie ihre Mutter. Wir weinen alle.

Frau erzählt, wie sie als Kind verschleppt wurde

Besuch im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Wir laufen durch die Baracken, gedenken den Opfern an dem Mahnmal und schauen uns die „Rampe“ und eine Fotoausstellung an. Die Größe der durchorganisierten Mord-Anlage schockiert. Als wir unsere Gedenkstättenfahrt in einer Reflexionsrunde besprechen sitzt der Schock uns noch allen in den Knochen. Ein Mitschüler bringt es auf den Punkt: „Geschichte live zu sehen ist etwas ganz anderes als Geschichte im Unterricht zu besprechen.“

Wir alle wussten, dass sechs Millionen Juden Opfer des Holocaust waren und dass 1,4 Millionen von ihnen in Auschwitz ermordet wurden. Trotzdem hat es jeden von uns erschüttert und verändert in Auschwitz gewesen zu sein. „Mir geht es jetzt nicht gut“, sagt eine Mitschülerin, „aber ich finde es wichtig, dass es Gedenkstättenfahrten gibt. Erinnerungskultur gerät viel zu sehr in den Hintergrund. Noch mehr Schüler sollten so eine Möglichkeit bekommen.“

Junge Hamborner wollen für die Zukunft lernen

Ein weiterer Mitschüler appelliert: „Wir müssen uns erinnern, denn wir tragen die Verantwortung dafür, dass so etwas nie wieder geschieht.“

Benedikt Jäger von der Konrad-Adenauer-Stiftung sagt: „Solche Veranstaltungen sind sehr wichtig, denn ihr seid jetzt Zeitzeugen. Ihr könnt das, was ihr gesehen habt, in die Welt heraus tragen. Denn wir alle dürfen nicht vergessen was hier passiert ist.“

Vergessen werden die Schüler aus alt-Hamborn das nicht.

Zurück in Deutschland sind die Mitglieder unserer Gruppe immer noch betroffen und es wird wohl noch eine Weile dauern, bis wir unsere Erfahrungen verarbeitet haben. Fest steht: Ein Besuch in Auschwitz verändert dein Leben. Es ist wichtig, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Wir können zwar nichts für unsere Geschichte, doch wir alle sind dafür verantwortlich, was wir zukünftig in und aus dieser Welt machen.